Wie geht man mit Denkmodellen der Anthroposophie um, ohne in Schematismus zu verfallen? Das ist eine der Grundfragen, mit der ich in diesem Blog immer wieder umgehen möchte - soweit es persönlich geprägte Artikel sind. Ein allzu schematischer Umgang mit den Grundideen und - modellen würde nämlich genau die schmale Grenze zum Ideologischen überschreiten, immer wieder eine Gratwanderung ... Heute bekommen Sie, liebe Leser, ein erstes Beispiel - es geht um eine neue große Ausstellung im Sprengel Museum Hannover. Zu dieser Ausstellung habe ich gerade ein Manuskript für die Zeitschrift "Die Drei" verfasst, das im Maiheft erscheinen soll und dem ich natürlich möglichst wenig vorweggreifen werde.
Nur vier Jahre Zeit haben die drei Künstler für ihre Freundschaft, von 1910 bis 1914. Im Ersten Weltkrieg sollten zwei von ihnen fallen, sodass deren künstlerische Entwicklung abrupt abgebrochen wurde. August Macke (1887 – 1914) und Franz Marc (1880
– 1916) trafen sich erstmals am 6.
Januar 1910. Macke, der als gesellig, offen und kontaktfreudig beschrieben wird, hat Arbeiten Marcs in einer Kunsthandlung gesehen, erkundigt sich nach der Adresse und besucht ihn am selben Tag in dessen Atelier. Franz Marc hat vorher eher zurückgezogen gelebt, fast schon isoliert - aber er spürt sofort den Gleichklang und entschließt sich schon für den 20. Januar zu einem Gegenbesuch in Mackes Atelier in Tegernsee. Im Herbst 1912 reisen die beiden neuen Freunde nach Paris - und besuchen schließlich am 26. September 1912 Robert Delaunay (1885
– 1941) in seinem Atelier.
Sie sehen dort seine „Fenster“-Bilder: Damit ist nicht nur der Blick durch ein Fenster gemeint, sondern grundsätzlich der Versuch, das Licht wie durch eine reflektierende
Fensterscheibe oder ein Prisma in einzelnen reinen Farben – im
Simultankontrast – darzustellen. Delaunays Begriff der „Simultan(e)ität“ ist als Gegenbegriff zur Sukzessivität gedacht: Bewegungen im technischen Bereich sind in der Regel
sukzessiv (die Futuristen haben das dargestellt, die sukzessiven
Bewegungsphasen z.B. einer Lok in ein Bild zu bannen versucht; ein
futuristisches Vergleichsbild zeigt die Ausstellung). Lichtwirkungen,
die rhythmischen Bewegungen des Lichts, treten hingegen eher simultan
auf. „Orphismus“ (abgeleitet von Orpheus) wird der Dichter
Apollinaire diese Sichtweise nennen. „Das Fenster öffnet sich wie
eine Orange / Die schöne Frucht des Lichts“ schreibt er in seinem
Gedicht „Die Fenster“.
Die deutschen Freunde sind begeistert. Sie werden auf eigenständige
Weise die Anregungen in ihren Werken verarbeiten.Auch die zweite persönliche
Begegnung bringt sofort ihre Früchte: Am 20. September 1913
treffen sich die drei Freunde in Berlin anlässlich der Eröffnung
des „Ersten Deutschen Herbstsalons“ in der Galerie „Der Sturm“,
wo 21 Werke Delaunays einbezogen sind. 13 davon sind Bilder einer neuen Serie: der
„Formes circulaires“, Farbkreise in geometrisch-flächigen
Anordnungen, alles abstrakt. Auch diese haben wieder zündende
Wirkung auf Marc und Macke – Macke fertigt abstrakte Bilder mit
kreisförmigen Elementen, selbst die Tiergestalten Marcs werden jetzt
teilweise aus Kreissegmenten entwickelt.
Drei Maler, drei Freunde über Sprachgrenzen hinweg - am Vorabend des Ersten Weltkrieges, da Nationalismen auf die Spitze getrieben sind. Kontakt halten sie hauptsächlich über einen intensiven Briefwechsel: Franz Marc, der im Elsass zweisprachig aufgewachsen ist, schreibt auf Französisch; August Macke ist auf die Vermittlung Sonia Delaunays angewiesen, der eigenständigen Künstlerin aus der Ukraine, die auch perfekt französisch und deutsch spricht.
Robert Delaunay sollte der "führende Kopf" werden in diesem Dreierbündnis. Marcs Briefwechsel mit ihm blieb immer streitbar, ambivalent, von Nationalismen geprägt (in beide Richtungen) - Delaunay war mit Marcs mystischer Seite nicht einverstanden (der Franzose sah sich eher rational und fand das typisch französisch), Marc vertrat die Meinung, eine wirkliche Loslösung vom Gegenstand (die totale Abstraktion) sei nicht möglich. Macke blieb die Konstante in dem neuen Bündnis.
Delaunay eher der Denker, Marc blieb bei seiner fühlend-träumerischen Art (dieses Bild hier heißt sogar "Der Traum"); Macke, der damals die Initiative ergriffen hatte, war der tatkräftige Teil. Denken - Fühlen - Wollen: Alle drei Wesensglieder des Menschen sind vertreten. Sofern man dieses Modell nicht als starre Formel benutzt, sondern als lebendigen Ansatz der Anschauung, wird man, denke ich, diese Sichtweise vertreten können.
Gemeinsam ist den drei Malern ihr Bemühen um das Wesen des Lichtes, das ist ihre geistige Dimension. „Das Licht in der Natur erschafft die Bewegung der Farben“, schreibt Delaunay im Aufsatz „Das Licht“. „... So erzeugt sie die Realität. Diese Realität hat Tiefe (wir sehen bis zu den Sternen) und wird dann zur rhythmischen Simultanität. Die Simultanität im Licht bedeutet Harmonie und den Rhythmus der Farben, der das menschliche Sehen erschafft. Das menschliche Sehen besitzt den größten Wirklichkeitssinn, da es ja direkt aus der Betrachtung des Universums stammt.“
Die Bildbeispiele, von oben nach unten: Robert
Delaunay: Fenêtres
ouvertes simultanément (1ère partie, 3e motif),
1912, Öl
auf Leinwand, 45,7 x 37,5 cm, Foto:
© Tate, London 2008;
Franz
Marc: Der
Traum, 1912, Öl
auf Leinwand, 100,5 x 135,5 cm, Foto:
© Museo Thyssen-Bornemisza, Madrid; August
Macke: Großes
helles Schaufenster, 1912, Öl
auf Leinwand, 106,8 x 82,8 cm, Sprengel
Museum Hannover, Foto:
Aline Gwose / Michael Herling.
©Text: Helge Mücke, Hannover. Aktuelle Ergänzung: Ein ausführlicher Aufsatz ist im Maiheft 2009 der Zeitschrift "Die Drei" erschienen.
Die Ausstellung wird bis zum 19. Juli 2009 gezeigt. Marc, Macke und Delaunay: Die Schönheit einer zerbrechenden Welt (1910 - 1914). Sprengel Museum, Hannover. Katalog 280 Seiten. Die Bilder wurden zu Pressezwecken vom Museum zur Verfügung gestellt.
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