Wolfgang
Ritter aus Nürnberg hat am 15. Januar im neuen Jahr 2010 einen Vortrag gehalten mit dem Titel: „Die globale Agrarreform –
gegen Hunger, Klimaerwärmung und Artenverlust". (Diesen Vortrag hatte ich hier nicht in einem eigenen Artikel vorbesprochen - er war aber bei den Terminen am rechten Rand aufgeführt.) Ich benutze verschiedenes Material, teils vom Redner zur Verfügung gestellt, um hier einen Eindruck von der Sache selbst und dem Vortrag zu vermitteln.
Wolfgang Ritter spannte in seinem Interesse weckenden Vortrag den Bogen vom globalen zum lokalen Blickrund, er gab damit ein lebendiges Beispiel für das Schlagwort "Global denken - lokal handeln". Hauptgegenstand des Vortrags waren die Ergebnisse des Weltagrarberichts von 2008. Dazu zeigte Wolfgang Ritter Dias, die er von seinen zahlreichen Reisen aus Südamerika, Indien, Afrika usw. mitgebracht hatte. Schließlich berichtete er von seiner lokalen Initiative (Raum Nürnberg), in einem Verein Bio-Verbraucher mit Erzeugern und Kaufleuten zusammenzubringen.
Wie ist es möglich, die
wachsende Weltbevölkerung ökologisch und
sozialverträglich zu ernähren? Diese Frage haben 400
internationale Experten seit 2002 bearbeitet. Im April 2008 haben
sie dann ihren Bericht vorgelegt. (Vorher waren einige Beteiligte - Vertreter der Industrie, z.B. Saatgutfirmen - "in letzter Minute" abgesprungen.) Erstaunliches Ergebnis: Sie
fordern eine globale Agrarreform. Warum? Die kapitalintensive
Industrie- und Agrarproduktion unserer Lebensmittel zerstört
Böden, Wasser und Artenvielfalt, trägt zum Klimawandel
bei und nutzt einseitig den reichen Ländern. Die Experten,
auch Weltagrarrat genannt, fordern ein „Zurück zu den
Wurzeln“, eine Rückbesinnung auf bewährte
Traditionen, herkömmliche Produktionsweisen, angestammtes
(das ist an die örtlichen Gegebenheiten angepasstes) Saatgut
und natürlichen Dünger. Aber auch die Unterstützung
von Forschungen auf dem Gebiet einer nachhaltigen Landwirtschaft.
Die 22 Empfehlungen sind ins
Deutsche übersetzt und abgedruckt in Sozialimpulse –
Rundbrief Dreigliederung des sozialen Organismus, Heft Nr.2,
Juni 2008. Im Netz sind sie zu finden unter http://www.agassessment.org/(englisches Original) und http://hup.sub.uni-hamburg.de (auf Deutsch).
Ein paar Einzelheiten der Ergebnisse:
Hunger gibt es immer noch im Überfluss oder auch mitten im Überfluss: Nach Kalorien ernten die Landwirte heute etwa ein Drittel mehr als für die ausreichende Versorgung aller Menschen notwendig wäre. Fast jeder sechste Erdenbürger hungert dennoch heute - über eine Milliarde. Über 70 % aller Hungernden lebt auf dem Lande. Hunger ist vor allem ein ländliches Problem und kann nachhaltig nur vor Ort überwunden werden. Das ist auch, aber nicht nur eine Frage des politischen Willens. Inzwischen gibt es Tausende ermutigender Beispiele dafür, wie sich mit einfachen Mitteln auch unter widrigen Bedingungen die Lage eines Dorfes und ganzer Regionen innerhalb kurzer Zeit nachhaltig verändern kann. Die Entschlossenheit einzelner Frauen und Männer steht hinter solchen Erfolgsgeschichten - sie funktionieren aber nur, wenn die Selbstorganisation und Selbstbestimmung der Betroffenen unterstützt wird, statt ihnen Maßnahmen aufzudrängen.
Sogenannte Lebensmittel sind heute oft Krankmacher statt Lebens-Mittel. Das muss nachhaltig verändert werden. Die Geschlechterrolle hat großes Gewicht: "Oft sind es die Frauen, die das Wissen über Wert und Nutzen lokaler Pflanzen und Tiere für Ernährung, Gesundheit und Einkommen als Familienversorgerinnen, Pflanzensammlerinnen, Kräuterspezialistinnen, Saatguterhalterinnen und Züchterinnen besitzen. Ihre Experimente und Anpassungsversuche mit einheimischen Arten machen sie oft zu Expertinnen für pflanzengenetische Ressourcen." (Mikrokredite wurden zu fast 90 % an Frauen vergeben.)
Die bäuerliche Landwirtschaft ist gegenüber der industriellen Landwirtschaft (wieder) zu stärken. Die Multifunktionalität der Landwirtschaft ist (wieder) zu stärken (s. Grafik).
Wasser wird immer knapper
werden und bedarf des besonderen und entschiedenen Schutzes. Wissen
und Wissenschaft sind unabdingbare Helfer und müssen allen
zugänglich gemacht werden - Wissenstransfer darf nicht z.B. durch
Patente behindert werden.
Grundlage
der Zusammenfassungen: "Wege
aus der Hungerkrise",
herausgegeben von der GLS (wörtlich übernommene Textteile wurden in
der Regel nicht gekennzeichnet). Grafik von der genannten Seite.
Die biologisch-dynamische Landwirtschaft wird - so
Wolfgang Ritter, illustriert an Beispielen - in Zukunft eine
zunehmende Bedeutung haben.
Anschließend hat Wolfgang Ritter
zwei überzeugende und mut-machende Praxis-Beispiele vorgestellt -
das Malawi-Projekt und
den Bio-Verbraucher-Verein. Das Malawi-Projekt wird von einem Freund,
Georg Modlmair, geleitet. Lassen wir die Träger selber sprechen: "Am
24. November 2007 hat die Gründungsveranstaltung von "Hoffnung
für Misanjo“, HfM,
im malawischen Busch, im Distrikt Mulanje, nahe der Südostgrenze zu
Mosambik stattgefunden. HfM
kümmert sich dort um die Waisen von 10 Dörfern und darüber hinaus
auch um die Familien, die diese Waisen aufgenommen haben bzw.
aufnehmen mussten. Da es in diesem Land etwa zwei Millionen Waisen
gibt (durch AIDS und Krankheiten wie Malaria), sind kaum noch Familien ohne Waisen. HfM hat 50 Waisenkinder
im Alter von drei bis sechs Jahren und 40 Jugendliche aufgenommen.
Die Kindergartenkinder bekommen eine Vorschulausbildung und die
Jugendlichen eine Ausbildung
in biologischer Landwirtschaft.
Jeweils die Hälfte der Jugendlichen wird zusätzlich noch als
Schreiner oder
Schneider
ausgebildet. Die Ausbildung in biologischer Landwirtschaft stellt
sicher, dass sich die Menschen jetzt und später ernähren können
und dass sie unabhängig werden von teuren Inputs wie Kunstdünger,
Pestiziden und Saatgut. Die Berufsausbildung als Schreiner und
Schneider ermöglicht ihnen. Einkommen zu erwerben.
Einzelheiten lassen sich hier nachlesen:
http://www.malawi-waisen.de/index.html (s. Bild oben, das dieser Seite entnommen wurde).
Den Bio-Verbraucher-Verein hat
Wolfgang Ritter an seinem Wohnort Nürnberg ins Leben gerufen. Sinn
des Vereins ist, Bio-Erzeuger, Händler und Verbraucher
zusammenzubringen (letztere blieben bisher meist außen vor). Es geht
um Assoziationen, wie sie Rudolf Steiner bereits im Rahmen seiner
(sozialen) Dreigliederungsidee vorgeschlagen hat. "Einige
Persönlichkeiten unseres Vereins" - so Ritter in einem
Interview - "haben durch Erfahrungen positiver und
negativer Art die Einsicht gewonnen, dass sich eine
Gesundung des Wirtschaftslebens nur vollziehen kann, wenn die am
Wirtschaftsprozess Beteiligten, also Produzenten, Händler und
Konsumenten, assoziativ zusammen arbeiten,
wenn sie sich füreinander interessieren, Möglichkeiten, Wünsche,
Arbeitsbedingungen usw. voneinander erfahren und sich über
Quantitäten, Qualitäten und Preise verständigen. Das Heilsame
dieses Gedankens liegt in der Verbindlichkeit von Absprachen, die vor
dem Produktionsprozess getroffen werden. Man
fügt den Marktprinzipien die so wichtige Komponente der
Verlässlichkeit hinzu." Nähere
Informationen finden sich auf der Netzseite des Vereins
Bio-Verbraucher e.V. (das Bild, das im Vordergrund Wolfgang Ritter zeigt, stammt von dieser Seite).
(C)
Textauswahl und überleitende oder zusammenfassende Texte: Dr. Helge
Mücke, Hannover; Zitate und Bildquellen wie angegeben. Herrn Ritter danke
ich für die bereitwillige Zusammenarbeit.
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