Am 3. und 9. Januar im neuen Jahr 2010 spielt Mirjam Westphal die drei letzten Klaviersonaten op. posth. 1828 von Franz Schubert (1797 bis 1828).
Am ersten Abend - dem dritten Januar - spielt Mirjam Westphal zunächst die folgenden beiden Sonaten:
die Sonate in c-moll, D 958
und
die Sonate in A-Dur, D 959.
Beginn 19 Uhr, Ort: Brehmstr. 10, Saal des Rudolf-Steiner-Hauses.
Der zweite Abend - am neunten Januar - beginnt mit einem Vortrag von Joachim Knispel (dem Leiter des Priesterseminares in Stuttgart) über "Schuberts Vermächtnis - Die drei letzten Klaviersonaten von Franz Schubert". Beginn 19 Uhr, Ort wiederum der Saal des Rudolf-Steiner-Hauses, Brehmstr. 10.
Nach einer Pause spielt Mirjam Westphal dann die Sonate in B-Dur, D 960.
Ohne den Vortrag zu kennen, möchte ich hier ein paar Gedanken zu den letzten Klaviersonaten wiedergeben, die im Netzwerk zu finden waren:
Aus wikipedia, Stichwort Klaviersonate: "In den danach entstandenen Werken streift Schubert alle beengenden Fesseln der Gattungstradition ab. Das Ansteuern und die Modulation in weit entfernte, teilweise mediantisch verwandte Tonarten lockern das harmonische Konzept der Sonate. So wird in der C-Dur-Sonate D 840 schon nach 12 Takten As-Dur erreicht, und führt über B-Dur und As-Dur zum h-Moll des Seitensatzes. Die Reprise steht dann in H-Dur bzw. F-Dur. Schubert strukturiert teilweise ganze Sätze eher durch rhythmische Modelle als durch Thematik oder Harmonik. So beruht der erste Satz der a-Moll-Sonate DV 784 auf drei dem ersten und zweiten Thema sowie der Überleitung zugeordneten rhythmischen Formeln, welche auch miteinander kombiniert werden. Die Formeln des ersten und zweiten Themas werden dabei in zwei ähnlichen bzw. voneinander abgespaltenen Formen verwandt. Die Sonaten ab 1825 können als Höhepunkt seines Sonatenschaffens betrachtet werden. Schubert spannt hier harmonisch gewagte, weite Bögen. Sie sind als weiträumige musikalische „Erzählungen“ von lyrischem Grundcharakter konzipiert. So lobte Robert Schumann die „himmlischen Längen“ in diesen Werken Schuberts. Sie wirken mit ihren plötzlichen Ritardandi und Haltepunkten sehr improvisatorisch und romantisch."
Zu D 959 gibt es einen Text mit Interpretationsvergleichen, den Max Nyffeler 1999 für den Bayrischen Rundfunk verfasst hat - einige wenige Auszüge:
"Über Schuberts Umgang mit der Zeit ist schon viel geschrieben und
nachgedacht worden, vor allem von Komponisten. Robert Schumann sprach
im Hinblick auf die große C-dur-Symphonie von den 'himmlischen Längen',
Gustav Mahler meinte, alles, was nach Wiederholung aussah, durch
Striche in der Partitur ausmerzen zu müssen. Heutige Komponisten sind
von Schuberts Strukturierung Zeit immer wieder fasziniert und stellen,
wie es etwa Dieter Schnebel Anfang der siebziger Jahre getan hat,
gründliche Untersuchungen darüber an.
Die Gestaltung der musikalischen Zeit gehört zum absolut
Unverwechselbaren an Schuberts Musik und gibt bis heute allen, die sich
damit beschäftigen - Theoretiker, Komponisten und Interpreten - immer
wieder Rätsel auf. Analytisch läßt sich das schwer greifen,
philosophisch läuft man Gefahr, ins Allgemeine abzugleiten. Am besten
scheinen es da noch die Interpreten zu haben, die das begrifflich
schwer Faßbare nicht im Medium der Sprache reflektieren müssen, sondern
in der Lage sind, es unmittelbar nachschöpferisch im Medium des Klangs
zu formen. Das ist denn auch eine der großen Herausforderungen beim
Spielen von Schuberts Musik, und nicht immer sind die Resultate
überzeugend." Und zum Anfang, bezogen auf die Interpretation Claudio Arraus: "Mit markanten ganztaktigen Akkorden, die durch die Oktavsprünge
in der linken Hand rhythmische Kontur erhalten, wird die Sonate eröffnet;
das Kopfthema war zum Schluß, bei den ersten Takten der wiederholten
Exposition, gerade nochmals zu hören. Die Aufnahme entstand 1978,
Interpret ist der 74-jährige Claudio Arrau. Er spielt mit gelassener,
erzählender Geste. Die dunklen Töne, an denen diese Musik reich
ist, färbt er ein wenig wehmütig ein, ohne in Senitmentalitäten
abzugleiten. Es ist die souveräne Sicht eines reifen Interpreten auf
ein großes Werk der Vergangenheit.
In der Themenverarbeitung und Architektur erinnert dieser weiträumige
Kopfsatz an große Kammermusik; man glaubt etwas vom Geist des Streichquintetts
darin zu hören, das in unmittelbarer Nachbarschaft zu dieser Sonate
entstand. In seinem letzten Lebensjahr schrieb der todkranke Schubert in
einem unerhörten Aufschwung seiner Schaffenskraft noch eine ganze
Reihe von Werken, für die hier ruhig einmal die abgedroschene Bezeichnung
'Meisterwerk' benutzt werden soll: Nebst dem Streichquintett und der Messe
in Es-dur gehören dazu die später unter dem Titel Schwanengesang veröffentlichte Liedersammlung und dann vor allem die drei Sonaten in c-moll, A-dur und B-dur.
In diesen Klavierkompositionen trat Schubert endgültig aus dem Schatten Beethovens heraus, der ihm sein Leben lang zu schaffen gemacht hatte. Im Umgang mit der klassischen Sonatenform findet er zu ganz persönlichen Lösungen. Form, eine Ordnungsinstanz ersten Ranges in der Gesellschaft wie in der Institution Kunst, Form wird von ihm klaglos akzeptiert, und zwar in einer so demonstrativen Weise, daß es schon fast provokativ wirkt. Denn er behandelt sie nur als Hülse und ignoriert ihre Implikationen. Eine Entwicklungsdynamik, die noch Beethovens auf Veränderung zielende, aktiv gestaltende Haltung kennzeichnete, interessiert ihn nicht mehr. Nichts ist Schubert fremder als das 'Weiter! Weiter!', wie es der Fortschrittsbegriff des beginnenden Industriezeitalters propagiert. Bewegung ist bei ihm entweder die suchende, vagierende Bewegung wie im eingangs gehörten Seitenthema, oder das schicksalshafte Getriebensein der Winterreise. Oft ist ihm das Verweilen überhaupt wichtiger als das Vorwärtseilen, und bei schönen Momenten bleibt er einfach stehen und hört zu, wie sich der Klang entfaltet. Es ist eine im ökonomischen Sinn untaugliche künstlerische Existenz, die sich in Schuberts Musik äußert. Sein Umgang mit Material und Form verrät keinerlei Ehrgeiz zu einer Leistung, die ihm erlauben würde, in der Schlußbilanz auftrumpfend den Mehrwert seiner motivisch-thematischen Arbeit auszuweisen. Wer bei Schubert nach dem sogenannten 'ökonomischen Umgang' mit dem Material sucht, sucht am falschen Ort. Wer hingegen die verschwiegenen Töne, die Stille hinter dem Klang und die heimliche Kraft eines sich seiner Schwäche bewußten Subjekts sucht, der wird bei Schubert fündig." Wie gesagt, nur Auszüge - lesen Sie doch hier den ganzen Text.
Zu vermuten ist, dass Schubert den Kampf überwunden hatte und dem Tod in der B-Dur-Sonate freundlich begegnet, als hätten sich in ihm Gefühle von Vergebung und eine innere Bereitschaft gegenüber dem Tod eingestellt, die ihn zu den freundlichsten Melodien greifen lassen, die er in erfinden konnte. Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist, dass das zunächst heiter wirkende Rondo-Thema des letzten Satzes nicht in der Grunddtonart B-Dur steht, sondern in der der Schicksalssinfonie, nämlich c-moll. Dahinter steckt eine Heiterkeit in erstem Gewande, die im letzten Satz dramatische Ausbrüche erfährt.
Vergleicht man die Themen der B-Dur Sonate miteinander, so stellt man fest, dass alle aus dem selben Tonmaterial, einer abfallenden Sekunde, gemacht sind. Eine abfallende Sekunde wird musikwissenschaftlich als "Seufzermotiv" bezeichnet. Die Themen der Sonate allerdings seufzen nicht, sie sind nur aus dem Stoff des Seufzers gemacht. Es ist, als ob Schubert uns nachhaltig mit seinen Melodien tröstet, so dass die Sonate heute noch auf der ganzen Welt gespielt und geliebt wird. Der Melodienreichtum dieser letzten und gleichzeitig größten Sonate, die Schubert überhaupt geschrieben hat, lässt an Liederzyklen wie "Die schöne Müllerin" oder "Die Winterreise" denken.
Ihre Struktur ähnelt den späten Symphonien Schuberts. Anders
als bei Beethoven, dessen letzte Sonate die klassische Sonatenform
vollkommen durchbricht, haben wir es in Schuberts letzter Sonate mit
der größten Vollendung dieser Formen zu tun. Es gibt Künstler, die die
Vollendung bestehender Möglichkeiten zur inneren Aufgabe haben, man
denke an Bach oder Haydn, und es gibt Künstler, die neue Möglichkeiten
aufsuchen, man denke an Beethoven oder Schönberg. Die B-Dur Sonate ist
in diesem Sinne ein vollendendes und vergebendes Werk"
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