Ja, auch die Vögel können lesen - wer hätte das gedacht. Ihre Bücher sind die Bäume, die Blätter natürlich die Blätter. So können sie auch die Bibel lernen - der Rabe, der Rabbi unter den Vögeln, liest sie ihnen vor. Vorzugsweise von Buchenblättern. Woher wir das wissen? Aus einer Fabel von Elieser Steinbarg (1880-1932).
Diese köstliche Sicht auf einen Urtext der Menschheit hat an einem zauberhaften Abend durch ein Gastspiel das MeRztheater in Hannover vermittelt. Wolfram Wallrabenstein hat die Fabel stückchenweise vorgetragen; er selber (Klarinette, Flöte) und László Gulyás (Akkordeon) haben zwischendurch und am Schluss Klezmermusik gespielt. Es war eine sehr schlichte Vorstellung, dadurch umso überzeugender und eindringlicher. Dank an das MeRztheater für dieses vermittelte Geschenk! Es hätte noch mehr Besucher verdient. Zeit: 20. Februar 2010, Ort: Brehmstr. 10
Elieser Steinbarg lebte und wirkte in Tschernowitz, "jener fernen Stadt in der Bukowina, aus der so viele bedeutende Schriftsteller der modernen deutschen Literatur stammen". Bukowina: "Land der Buchenwälder", zugleich auch das Land, in dem "Bücher und Menschen lebten" (Paul Celan). Tschernowitz: "Bedeutende deutschsprachige Schriftsteller der Moderne entstammen dem kulturellen und intellektuellen jüdisch-deutschen Milieu dieser einst faszinierenden kosmopolitischen Stadt, 'in der ein jeder Jud ein Deutsch ist' (Karl Emil Franzos)". Einige wenige Beispiele: Paul Celan, Rose Ausländer, Karl Emil Franzos, Alfred Margul-Sperber, Itzig Manger, Gregor von Rezzori und, als Musiker, Richard Tauber. Diese Hintergrundfakten sind einem Blatt zu entnehmen, das an jeden Besucher ausgeteilt wurde.
Elieser Steinbarg (1880-1932) ist heute kaum noch bekannt, es gibt kaum übersetzte Texte, und auch im Internet ist wenig zu finden, ganz dürftig bei wikipedia, immerhin ein bisschen mehr auf einer Seite eines Bukowina-Zentrums.
Das Foto und ein paar biografische Daten konnte ich hier finden.
Was alles der Rabe erzählt hat, kann ich hier nicht wiedergeben - Sie hätten eben kommen müssen. Oft war vom Vogel Phönix die Rede, der wächst und wächst und wächst. Dann wird er auf einmal ganz klein und es gibt ein Ei. Daraus kommt der neue Vogel Phönix, der wächst und wächst und wächst. Aber, eindeutig, das Ei war zuerst da. Es wurde bei der Erschaffung der Welt von den dunklen Bergen hervorgebracht. Was immer der Rabbi-Rabe von den Buchenblättern noch vorgelesen hat: es war immer, daran erinnere ich mich, eine fröhliche und wissbegierige Stimmung unter den Vögeln. Wann immer Sie vom Zuhören müde waren, tanzten sie!
Wolfram Wallrabenstein und László Gulyás (über die ich auch wenig im Netz gefunden habe) haben mit ihren melancholischen und fröhlichen Weisen die Vergangenheit der bukowinischen Kultur beschworen. Noch einmal danke!
(C) Text und das erste Foto: Dr. Helge Mücke, Hannover; Zitate wie angegeben; Quelle des Steinbargfotos wie angegeben; das Kolkrabenfoto stammt von "templermeister" bei pixelio.de; das kleine Foto der Künstler ließ sich von einer anderen Aufführung im Netz aufspüren.
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