Es war ein besonders lebendiger Tag der Initiativen, leider zu wenig besucht, kaum von jungen Menschen, und von der außer-anthroposophischen Öffentlichkeit wenig wahrgenommen. Erstaunlich gut funktionierte der Zeitablauf.
Dem Tag hatte die Planungsgruppe die Gesamtüberschrift Gemeinschaft und Vernetzung gegeben; zwei Themenschwerpunkte hatten sich aus den Vorschlägen herausgeschält: Landwirtschaft (10 bis 11.30 Uhr) und Gemeinschaften und Vernetzung (12 bis 13.15 Uhr).
In seiner Begrüßung bezog sich Thomas Wiehl auf die Aufforderung Rudolf Steiners (GA 237) „Werde ein Mensch mit Initiative“. Susanne Graewe verdeutlichte in ihrer Einführung, dass es nicht um das Feiern von Erfolgen gehe, sondern auch mit der Möglichkeit des Scheiterns zu rechnen sei. Hilfreich gegenüber der Welt der Materie könne nur die Welt des Geistes sein.
Thomas van Elsen stellte die Deutsche Arbeitsgemeinschaft Soziale Landwirtschaft (DASoL) vor, deren Hauptfunktion die Vernetzung ist. Die konventionellen Höfe haben sich so entwickelt, dass mit immer mehr Maschinen und immer weniger Menschen gearbeitet wird. Das ist gleichzeitig eine Chance, die Landwirtschaft hat sich zur Multifunktionalität entwickeln können. „Aktivitäten solcher 'multifunktionaler' Höfe reichen von der Integration von Menschen mit körperlichen, geistigen oder seelischen Beeinträchtigungen über die Einbeziehung sozial schwacher Menschen, straffälliger oder lernschwacher Jugendlicher, Drogenkranker, Langzeitarbeitsloser und aktiver Senioren bis hin zu pädagogischen Initiativen wie Schul- und Kindergartenbauernhöfen“ (Zitat von der Netzseite). Fotos von der Arbeit mit sog. Behinderten, die im Saal an den Wänden aufgehängt waren, gaben einen anschaulichen Eindruck. Der Mensch, der seine Entwicklung der Natur verdankt (s. „Fußwaschung“ von Morgenstern), kann dadurch etwas zurückgeben.
Das Klostergut Heiningen im Landkreis Wolfenbüttel, das Andreas Degener schon einmal vorgestellt hat, kam genau an den Punkt sich zu fragen: Wie kann es mit der – biologisch-dynamischen – Landwirtschaft weitergehen? und holte sich auch Rat von van Elsen. Das neue soziale Projekt wird nach „Fritze“ benannt, einem inzwischen verstorbenen „geistig behinderten“ Menschen, der überall im 700-Seelen-Dorf selbstlos und verlässlich mit seinem vielseitigen Talent geholfen hat. Erster konkreter Schritt ist die Einrichtung einer Werkstatt.
Der „Adolphshof“ in Hämelerwald (Lehrte), östlich von Hannover, praktiziert die sozialtherapeutische Arbeit bereits seit 1996; das Ehepaar Sabine und Frank Limpinsel-Adam berichtet darüber. Die Lebens- und Arbeitsgemeinschaft mit familienähnlichen Gruppen umfasst heute rund hundert Menschen, davon 38 sog. Behinderte. Die Landwirtschaft will keine weitere Steigerung (wie das System es erzwingt), sondern lieber mehr in die Breite gehen. Das neueste Projekt (über das auch in der Arbeitsgruppe gesprochen wird) soll eine mobile Hühnerhaltung sein (auch als Gegenbewegung zu der Hühnermastanlage, die gerade in der Nachbarschaft gebaut wurde). Das wird ein erster Schritt in Richtung CSA sein (Community Supported Agriculture, von einer lokalen Gemeinschaft gestützte Landwirtschaft). Für eine Initiativgruppe von 6 Menschen werden noch MitstreiterInnen gesucht.
Eine junge Frau, Anna von der Lahn, schildert sehr anschaulich die Freie Ausbildung für biologisch-dynamischen Landbau im Norden, die von der Bäuerlichen Gesellschaft Nord-Westdeutschland getragen wird. „Der praktische Teil der Ausbildung wird durch den Einsatz und die Arbeit der Lernenden finanziert. Sie sind in den vier Jahren auf zwei bis vier Betrieben tätig, erhalten einen Bruttolohn von 450,00-650,00 Euro (incl Sozialversicherung, Kost und Logis). Die weitere Finanzierung der Ausbildung wird geleistet von den beteiligten Demeter-Betrieben und durch viel private Initiative“ (Zitat von der Netzseite). Nach vier Jahren führt die Ausbildung zur Fachkraft biologisch-dynamischer Land- und Gartenbau (EU-Niveau 3), das entspricht dem landwirtschaftlichen Gehilfen. Nach dem Vortrag bekommt ein halbes Dutzend Menschen den Auftrag, gemeinsam einen Stock auf den Boden zu bringen. Das hat das Anliegen erlebnishaft ins Bild gebracht.
Hingewiesen wird auf den Infotisch für das neue Mitmachbilderbuch „Bienenzauber“ von Franziska Döll (Bilder) und Ursula Habermehl (Text). An der Bühnenwand hängen wunderschöne Immenbilder aus anderer Quelle: von Ingrid Michaelis aus Lüneburg.
Nach der Pause berichtet Kurt Eschmann (der bereits mehrfach zu Gast war) von den Fortschritten des Ateliers zur Entfaltung der Sinne „Musicon“ in Wennigsen am Deister mit mehreren Werkstätten für geistig behinderte Menschen (Papier-, Kerzen-, Kupfer- und Weber-Atelier). Wer ist behindert, wer ist normal? Sind wir in Wirklichkeit vielleicht Normopathen? Geht es nur um Normierung oder auch um Kultivierung? Die Kunst zeigt es: Es gibt Behinderte, die ganz kultiviert sind, aber auch „Normale“, die nicht kultiviert sind. Eine Veränderung zur Kultur ist nötig ...
Clemens von Schwanenflügel stellt die neuen Angebote des Hofs Wörme vor - ein großer Demeter-Bauernhof am Nordrand der Lüneburger Heide – im Rahmen des Bundesfreiwilligendienstes (Freies Landwirtschaftliches oder Ökologisches Jahr). Heute lernen die jungen Menschen kaum noch, etwas zu Ende zu bringen; in der Gegenbewegung drängen viele in die Landwirtschaft. Einige wollen einfach nur arbeiten, erst nach 1 oder 1 ½ Jahren interessieren sie sich für Theoretisches.
Der „Acanthus“-Hof in Klein Ilsede, Landkreis Peine, ist wieder ein Stück weiter, wie Sylvie Dudek erzählt. Der Kern, ein älterer Dreikanthof, kann jetzt in Kürze von einer Gruppe von 13 behinderten Menschen bezogen werden, die Werkstätten werden nach und nach aufgebaut. „Auf dem 'Acanthus'-Hof werden die Menschen mit Behinderung eine Struktur finden, die sich vergleichen lässt mit der Struktur einer Großfamilie. Der Alltag wird gemeinsam, sich gegenseitig helfend, stützend und fördernd bewältigt. Wir werden Gemeinschaft pflegen und Werte wie Toleranz, Offenheit , Akzeptanz erproben. Dabei soll jeder nach Bedürfnissen und/oder Notwendigkeit Rückzugsmöglichkeiten bekommen“ (Zitat von der Netzseite).
Sven Jorzyk gib einen Überblick zu der neuen Zeitschrift „bandbreite“, die er begründen will – sie soll die große Vielfalt der anthroposophisch inspirierten Initiativen im Raum Niedersachsen und Bremen widerspiegeln. Das erste Heft soll Ostern erscheinen! Wer Ablage- und Verteilstellen kennt und betreuen möchte, möge sich melden.
Und schließlich spricht Rembert Rauchbach über sein neues Projekt, das Regiogeld für Hannover und den norddeutschen Raum: die „Nordmark“. Nach dem Muster des Chiemgauer verbindet diese Form von Regionalgeld Kaufgeld mit Schenkgeld (ein gewisser Anteil geht in gemeinnützige Projekte, die man selber bestimmen kann).
Nach der Mittagspause wurden die Themen durch Arbeitsgruppen weiter bearbeitet. Zu denen, die durch ein Impulsreferat vorgestellt worden waren, kommen noch hinzu: TAO als Übung zum Menschsein der Gruppe Kunstimpuls (nach GA 278) sowie Ort des Treffens, eine Soziale Plastik nach Joseph Beuys.
Im Abschlussplenum von halb vier bis halb fünf wurden die impulsierenden Arbeitsergebnisse in großer „Bandbreite“ noch einmal sichtbar (hörbar) gemacht.
Text und Fotos: Dr. Helge Mücke, Hannover
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