„Wir müssen einen geistigen Staat errichten….“
(Handbuch für ein zeitgemäßes Regieren)
Václav Havel über die Tätigkeit des Politikers
(aus „Sommermeditationen“von Václav Havel)
Eingeleitet und zusammengestellt von Heike Oberschelp
Am 18.12.2011 starb Václav Havel im Alter von 72 Jahren. Zu seiner Beerdigung kamen außer der Familie und Freunden besonders politische Würdenträger, mit denen Havel zu Lebzeiten oft im Widerspruch stand. Das Volk der Tschechen, das ihn wählte und unterstützte, hatte keinen Zutritt.
5 Jahre seines Lebens saß Václav Havel im Gefängnis. Dreimal wurde er verhaftet. Er erregte immer wieder Aufsehen, da er Zensur und den Machtapparat der Politik öffentlich kritisierte. Havel war Mitbegründer und Sprecher der „Charta 77“, einer Petition gegen Menschenrechtsverletzungen und zugleich einer Bürgerbewegung, die bis zur „Samtenen Revolution“ 1989 Verstöße gegen die Menschenwürde an die Öffentlichkeit brachte. Während seiner für ihn qualvollen Gefängnisaufenthalte reichte er einmal ein Gesuch bei den Behörden ein und erklärte seinen Rücktritt als Sprecher der „Charta 77“. Seine Erklärung wurde von Regierungskreisen umgestaltet, veröffentlicht und erweckte den Eindruck, er habe seine Sache verraten, um aus dem Gefängnis zu kommen. „Ich verließ in Schande das Gefängnis und stand im Angesicht einer Welt, die mir als einziger, überaus berechtigter Vorwurf erschien. Niemand weiß, was alles ich in dieser dunkelsten Zeit meines Lebens durchgemacht habe….Es waren Wochen, Monate, Jahre der Scham, innerer Schande, Vorwürfe und verständnisloser Fragen“* „Meinem Versagen verdanke ich, dass ich zum ersten Mal im Leben - wenn mir ein solches Beispiel erlaubt ist - unmittelbar im Arbeitszimmer des lieben Gottes selbst stand. Niemals bisher habe ich ihm so aus der Nähe in das Antlitz geschaut, niemals bisher hörte ich so aus der Nähe seine vorwurfsvolle Stimme, niemals vorher stand ich vor ihr in so tiefer Verlegenheit, so mit Schande bedeckt und verwirrt, niemals habe ich mich so tief geschämt und die Unangemessenheit all meiner Verteidigungen gefühlt.“*
„Also: es war Scham…vor meinen Nächsten, Freunden, Bekannten, der Öffentlichkeit, also Scham vor konkreten, irrenden, Fehler machenden und über den tatsächlichen äußeren und inneren Verlauf meines Vorfalls im Grunde nichts wissenden Leuten…Es ist also überhaupt nicht so, dass es zwei voneinander getrennte und entfernte Welten gäbe, die irdische Welt der irrenden Menschen, an der nicht viel liegt, und die himmlische Welt Gottes, um die einzig es geht. Ganz im Gegenteil: das Sein ist das einzige, es ist überall und hinter allem, es ist das Sein von allem, und es gibt keinen Weg zu ihm als den, der durch diese Welt und dieses mein ´Ich` führt“*
Als Havel im Mai 1979 wieder verhaftet wird, bekommt er erneut die Möglichkeit ein Gesuch einzureichen und ins Ausland zu reisen. Havel lehnt ab und tritt die Gefängnishaft an.
Am 16.1.1989 nahm Havel an einer Gedenkveranstaltung zum 20. Jahrestag von Jan Pallach teil, wo in einer Gedenkstunde des Studenten, der sich 20 Jahre zuvor öffentlich selbst verbrannt hatte, gedacht wurde. Havel wurde wiederum festgenommen, verhaftet und zu 9 Monaten Gefängnis verurteilt. Diese Mal gab es lautstarke Proteste aus dem In- und Ausland.
Am 24.11.1989 trat die Regierung der Tschechoslowakei zurück, Havel wurde zum Sprecher des Bürgerforums gewählt und am 29.12. zum 1. Präsidenten der befreiten Tschechoslowakei gewählt.
In dem Buch „Sommermeditationen“** reflektiert Havel seine zweijährige Regierungszeit.
Man kann also sagen, dass mich die Revolution an die Spitze des Staates getragen hat…Habe ich doch eigentlich von jeher…, wann immer ich mich für eine Sache engagiert habe, bald an deren Spitze gestanden, nicht weil ich etwa klüger oder ehrgeiziger … war, …weil ich die Menschen versöhnen und wie eine Art Kitt wirken konnte….Es lag also nur in der Ordnung der Dinge, dass ich – obwohl ich formal in Bürgerforen keinerlei Funktion hatte – wiederum als ein Wortführer angesehen wurde…Ich habe mich nicht allzu sehr mit der Frage gequält, ob ich mich für eine solche Funktion eigne oder nicht, ich wurde einfach…- „vom Sein abgezogen“…ich.. war fähig… so souverän aufzutreten, als ob mich mein ganzes Leben für eine Präsidentschaft geschult… hätte. Dem war aber nicht etwa so…(ich wurde) zum Instrument der Geschichte…so ist die Geschichte… auch durch mich vorwärtsgestürmt und hat über mein Tun Regie geführt.(S.9)
Über das Zuhause eines Menschen
Für jeden Menschen ist das Zuhause eine der grundlegenden existentiellen Erfahrungen. Was der Mensch als sein Zuhause wahrnimmt…, kann man mit einem System konzentrischer Kreise vergleichen, in dessen Mitte sich unser „Ich“ befindet. Mein Zuhause ist der Raum, in dem ich einige Zeit leben, an den ich mich gewöhnt habe und den ich sozusagen mit meinen Duftmarken überzogen habe…Mein Zuhause ist das Haus, in dem ich lebe, die Gemeinde oder die Stadt, in der ich geboren wurde oder in der ich mich aufhalte, mein Zuhause ist meine Familie, die Welt meiner Freunde, das gesellschaftliche und geistige Milieu, in dem ich lebe, mein Beruf, mein Betrieb oder mein Arbeitsplatz. Mein Zuhause ist selbstverständlich auch das Land, in dem ich lebe, die Sprache, die ich spreche, das geistige Klima, das mein Land hat und das die Sprache vergegenwärtigt, die man darin spricht. Das Tschechische, die tschechische Art der Wahrnehmung der Welt, die tschechische historische Erfahrung, die tschechische Art des Mutes und der Feigheit, der tschechische Humor- das alles ist ein nicht wegzudenkender Bestandteil dieser Sedimente meines Zuhauses. Mein Zuhause ist auch für mich mein Tschechentum, das heißt meine nationale Zugehörigkeit, und es gibt keinen Grund, warum ich mich zu diesem Teil meines Zuhauses nicht bekennen sollte…
Mein Zuhause ist …auch… meine Staatsangehörigkeit…auch Europa und mein Europäertum…und auch diese ganze Welt….Mein Zuhause ist auch meine Bildung , meine Erziehung, meine Gewohnheiten, das soziale Milieu, in dem ich lebe…
Ich glaube, dass jeder dieser Schichten des menschlichen Zuhauses das zuerkannt werden muss, was ihr zusteht…
Sie gehören alle zu unserer Lebenswelt, und eine gute gesellschaftliche Organisation muss sie alle angemessen respektieren und allen Gelegenheit zur Entfaltung geben. Nur so kann Raum entstehen für eine freie Selbstverwirklichung des Menschen…..ein von allen Schichten seines Zuhauses entblößter Mensch wäre ganz seiner selbst, seines Menschseins entledigt. (S.23)
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