Der Schornstein raucht (noch?) am Goetheanum (er gehört zum Heizhaus und entstand bereits 1914), alles andere scheint in einen mystischen Dunst gehüllt. Doch vielleicht sollte ich es mit der Symbolik nicht übertreiben ... an jenem herbstlichen 4. November in Dornach bei Basel. Denn ich war für alles offen und versuchte den Außenblick eines "ganz normalen" Journalisten einzustellen. Allerdings hatte ich zur Zeit dieses Anblicks bereits zwei Schwellenerlebnisse hinter mir und ahnte nicht, dass mir noch eine dritte bevorstehen sollte. Die Ankunft nach einer Nachtfahrt mit der Bahn am Morgen in Basel zur "rush hour" - zahllose fleißige Menschen eilten zur Arbeit -, das war die erste Schwelle; nach einem schönen Fußweg von Arlesheim aus, musste ich mich erst einmal auf einer angenehmen Holzbank ausruhen, bevor ich das "Kraftfeld" des Hügels betreten mochte, noch eine Schwelle.
Als Auftaktveranstaltung zum Rudolf-Steiner-Jubiläum 2011 (150. Geburtstag am 27. Februar) fand am 4. November 2010 eine Internationale Pressekonferenz im Goetheanum statt. Dr. Michaela Glöckler von der Medizinischen Sektion am Goetheanum und Vera Koppehel vom Rudolf-Steiner-Archiv hatten sie vorbereitet, in Zusammenarbeit mit dem Jubiläums-Projektbüro 2011 “150 Jahre Rudolf Steiner” (Stephan Siber, Vera Koppehel), dem Internetportal anthromedia.net (Nadine Aeberhard-Josche, Esther Gerster, Isabelle Dupin, Mauro Fenu, Jesse Osmer, Stefan Mahlich) und der Medizinischen Sektion am Goetheanum (Pressestelle Heike Sommer). Das klingt nach gewaltigem Aufwand und guter Organisation - so war es auch, überdies gelang es, eine menschlich-freundliche Atmosphäre zu schaffen. Dank und Gratulation!
Für mich persönlich muss ich leider eine kleine Einschränkung machen: Obwohl ich per E-Post eine Bestätigung bekommen hatte, war meine Anmeldung nicht zu finden. (Sicherlich sollte ich mich bei einem nächsten Mal früher anmelden ...) Dies war die dritte Schwelle!
Um 11 Uhr begann die Pressekonferenz mit einem Podiumsgespräch im Großen Saal. Etwas erhöht saßen hinter Tischen neun prominente Anthroposophen aus aller Welt - das wirkte imponierend. Aus Zuschauersicht von links nach rechts: Bodo von Plato aus der Schweiz, Vorstandsmitglied am Goetheanum, Begründer der Forschungsstelle Kulturimpuls; Marjatta van Boeschoten aus Großbritannien, Unternehmensberatung; Ute Craemer aus Brasilien, Gründerin von Sozialprojekten und Netzwerken in Brasilien, u.a. Mitbegründerin von Monte Azul und der Alliance for Childhood in Brasilien; Gerald Häfner, Deutschland, Mitglied des Europäischen Parlaments, Gründer und Vorstandsmitglied von Mehr Demokratie e.V.; Dr. med. Michaela Glöckler aus der Schweiz, Leitung der Medizinischen Sektion am Goetheanum, Moderation; em. Prof. Dr. Hellmut Fischmeister, Österreich, ehem. Direktor des Max-Planck-Instituts für Metallforschung in Stuttgart und Mitglied im Österreichischen Wissenschaftsrat; Aban Bana aus Indien, Repräsentantin anthroposophischer Kulturarbeit auf dem Subkontinent; Hana Giteva aus Tschechien, Repräsentantin anthroposophischer Initiativen, Projektmanagerin; und schließlich Prof. Götz Werner, Deutschland, Gründer des Unternehmens dm-drogerie markt und Befürworter eines „Bedingungslosen Grundeinkommens“.
Zunächst bekam jeder die Gelegenheit zu ein paar Sätzen: Wieso, weshalb bin ich Anthroposoph, was habe ich Rudolf Steiner zu verdanken? Geschickterweise gab Frau Glöckler zuerst Götz Werner das Wort (es begann also von rechts in Zuschauersicht). Mit Anthroposophie könne man die Welt besser erkennen; es gehe, auch im Wirtschaftsleben nicht so sehr um das Wie, sondern um das Warum und Wozu. Wirtschaft solle eine Plattform dafür bieten, dass Menschen zusammenkommen, um miteinander tätig zu sein - der Einzelne wachse dabei über sich hinaus. Hana Giteva vergleicht mit anderen sprituellen Strömungen, sie böten kaum Orientierung, was es im Kommunismus schon gar nicht gegeben hatte. Anders ist an der Anthroposophie, dass es ihr weniger um das Seelische geht, vielmehr um die geistige Dimension und zugleich um das Tätigsein. Aban Bana hob die Universalität der Steinerschen Impulse hervor - so könnten sie auch in anderen spirituellen Kulturen wie Indien auf den verschiedensten Gebieten praktisch wirksam werden; besonders hoch ist der Anteil der Eurythmie. Prof. Fischermeister, tradtioneller Physiker auf dem Gebiet der Metallforschung, kritisiert, dass das Wissenschaftsparadigma nach wie vor den Geist leugne. Das könne aber nicht wirklich zur Wahrheit führen. Was aber "hat der Mensch dem Menschen Größeres zu geben, als die Wahrheit?" (nach Schiller). Gerald Häfner, Mitglied des EU-Parlaments und Mitbegründer von "Die Grünen" und von "Mehr Demokratie" unterstrich eindringlich die Aktualität und Zukünftigkeit von Rudolf Steiners Ideen. "Heute bemühen wir uns, Ökologie und Ökonomie zu vereinen - bei Rudolf Steiner war es vorhanden. Wir bemühen uns, eine Pädagogik zu entwickeln, in der das Kind nicht als Gefäß missverstanden wird - bei Rudolf Steiner in der Waldorfpädagogik bereits Wirklichkeit geworden. Wir bemühen uns, die Gesellschaft von Ideologien und Parteien zu entmachten und auch hier stellen wir fest, dass Rudolf Steiner in seiner Vision einer auf Freiheit und Verantwortung aufgebauten Gesellschaft viel weiter war." Häfner ergänzt, dass es sich bei den anthroposophischen Ideen nie um Rezepte handle, sondern, dass erweckt würde, was man selbst als Weg zur Freiheit in sich trage." Es gäbe heute "viel Debatten und Getöse über das Wie - Anthroposophen tun es." Dies gelinge, weil es Anthroposophie immer darum gehe, die Spanne zwischen Ich und Welt zu überbrücken, Verantwortung für die eigenen Gedanken, Gefühle und Handlungen ebenso zu übernehmen, wie für die Welt." (Die Zitate verdanke ich den Kollegen der Netzseite des Goetheanums goetheanum.org ) Ute Craemer, die nun schon seit vielen Jahren in Brasilien in den Favelas Entwicklungsarbeit leistet (sie stellt sich ganz schlicht als Waldorflehrerin vor), hält grundsätzlich jeden Menschen für entwicklungsfähig - das sei der Ansatz, den sie aus der Anthroposophie gewinne und der ihr Kraft gebe. Auch Marjetta von Boeschoten weist auf die Vielfalt der praktischen Tätigkeitsfelder hin: "There is a wide range of applications. We can see the fruits. Bodo von Plato schließlich hebt eher die (selbst)kritischen Aspekte hervor - wo viel Licht sei, sei auch viel Schatten. Innerhalb des anthroposophischen Lebens gebe es auch viel Sektiererisches und Dogmatisches - man müsse immer beide Seiten sehen; die Moralität, die Möglichkeit zur Ausbildung innerer Werte ist das Besondere, was aus der Anthroposophie kommt. Zum 20. Jahrhundert gehöre, so von Plato, dass jedes Ideal nur dann ins Leben treten könne, wenn auch sein Gegenteil anwesend sei. Hier bedeute dies, dass die Verwirklichung des Menschheitsideals, wie es Anthroposophen anstreben, zugleich auch deren eigene Ohnmacht sichtbar mache. Rudolf Steiner ist nach von Plato der "Entdecker des Gewissens ..., das nur im einzelnen Menschen sich zu regen vermag." (Nach goetheanum.de ) "Auf die Frage, welche Erwartungen man für 2011 habe, antwortete von Plato, dass das Jahr eine Gelegenheit sei, über Rudolf Steiner zu sprechen und dabei nicht zu verharren, sondern darüber zu sprechen, was Rudolf Steiner am Herzen lag, die Verwirklichung des Menschenwesens, grossartig und schattenhaft wie es sei, es verstehen und lieben zu lernen. " (Quelle wie genannt) Danach gab es Gelegenheit zum Gespräch.
"Prof. Walter Kugler, Leiter des Rudolf-Steiner-Archivs, meinte in der Diskussion, für ihn sei das Besondere der Anthroposophie von Anfang an gewesen, dass die Individuen autonom gewesen seien, die sich engagiert und anthroposophische Einrichtungen gegründet hätten. Dieses Verhalten stünde im Gegensatz zum starren, dogmatischen Marxismus der meisten Aktivisten der alten 68er Bewegung. Schon früh habe ihn die Devise Steiners fasziniert, „nur das für wahr zu halten, wozu uns unsere eigenen Gedanken zwingen.“(Zitat von NNA.)
Nach einer Mittagspause, bei der wir sehr gut und gesund verpflegt wurden, fanden zu den verschiedensten Themen "Round Tables" statt. Da hatte man leider das Problem, sich entscheiden zu müssen. Ich fürchte, ich habe mich eher falsch entschieden.
Ich hatte diese Gruppe gewählt:
Salutogenetische Medizin – ein notwendiger Paradigmenwechsel Dr. med. Konrad Schily, Gründungspräsident der Universität Witten/Herdecke, Dr. med. Thomas Breitkreuz, Chefarzt Paracelsuskrankenhaus Unterlengenhardt, Leiter der Kommission C des Bundesamtes für Arzneimittel und Medizinprodukte, Antal Adam, Pressesprecher der Wala Heilmittel GmbH und Patrick Sirdey, CEO der Weleda AG, leiteten den großen eckigen "Rundtisch".
Was salutogenetische Medizin ist, wurde nicht erklärt, sondern unbefragt vorausgesetzt. Das Netzlexikon Wikipedia sagt dazu: "Salutogenese (Gesundheitsentwicklung, abgeleitet von lat. salus für Gesundheit, Wohlbefinden und genese von griechisch γένεσις, genesis ‚Geburt‘, ‚Ursprung‘ ‚ ‚Entstehung‘) bezeichnet zum einen eine Fragestellung und Sichtweise für die Medizin und zum anderen ein Rahmenkonzept, das sich auf Faktoren und dynamische Wechselwirkungen bezieht, die zur Entstehung (Genese) und Erhaltung von Gesundheit führen." Wie gesagt, das wurde vorausgesetzt - der prozess-orientierte und ganzheitliche Ansatz kamen aber in den Gesprächen vor; dass es nicht primär um die Bekämpfung oder Blockierung von Krankheiten, sondern um ganzheitliche Förderung von Gesundheit geht, wurde immerhin deutlich. Aber kann man deshalb salutogenetische Medizin einfach mit anthroposophischer Medizin gleichsetzen, oder gibt es Unterschiede? Das wurde nicht hinterfragt. Dass es zusätzlich zur körperlichen und seelischen Ebene auch geistige Kräfte gibt (damit zu rechnen wäre ein Plus der anthroposophischen Medizin), wurde immerhin besprochen, aber eher mit dem "Warnhinweis", das könne man z.B. Politikern nicht vermitteln, man könne höchstens von einer seelisch-geistigen Ebene sprechen. Und was genau ist mit dem Paradigmenwechsel gemeint? Und wieso soll der (weitgehend) schon da sein, wie es gesagt wurde? Das jedenfalls darf man bezweifeln ... Für den (mehr oder weniger) unbefangenen Zuhörer wirkte dieser "Round Table" streckenweise wie eine PR-Veranstaltung der Firmen Wala und Weleda. Das zeigte sich auch darin, dass eine kritische Frage zur reduzierten Medikamentenpalette (oder der Gefahr weiterer Reduktion) eher zerstäubt wurde. Denn, wenn man es genau nimmt, ist die Begründung, es handle sich um wenig verschriebene Medikamente - nun wirklich keine anthroposophische Antwort!
Zur Bilanz: Rund 300 Teilnehmer gab es, davon 45 als solche angemeldete Pressevertreter, die Hälfte davon jedoch aus dem anthroposophischen Umfeld. In der ursprünglichen Fassung (die Zahl 45 wurde erst später hinzugefügt) hieß es bei goetheanum.org (Wolfgang Held): "Die Doppelgestalt der Veranstaltung, Medienkonferenz und Auftaktfeier zugleich zu sein, sprach vor allem mit Anthroposophie vertraute Medienschaffende an. Man sollte das nicht beklagen, sondern als Bild begreifen, dass in der Anthroposophie eine Kraft innewohnt, die all diejenigen, die sich von ihr inspirieren und befähigen lassen, immer wieder zu einer Gemeinschaft zusammen führt - auch das gilt es zu feiern."
Zum Abschluss dieses gehaltvollen Tages - am frühen Abend, als die eigentliche Tagung beendet war - konnte ich noch einen wunderbaren Film über Bienen sehen. Das war ein zauberhafter Abschluss vor der Nachtfahrt zurück nach Hannover.
Dieser Film war auch in einem der Round Tables gezeigt worden, mit anschließendem Gespräch darüber. Zu meinem Glück wurde die Vorführung dann noch einmal wiederholt, der Regisseur war auch noch einmal dabei und beantwortete am Schluss einige Fragen: Queen of the Sun – What are the Bees Telling Us? Ein Dokumentarfilm über die Welt der Bienen von Taggart Siegel (USA)
(C)Text und Fotos: Dr. Helge Mücke, Hannover; beim Text wurden die beiden Pressemitteilungen von NNA (News Network Anthroposophy) und goetheanum.org mit herangezogen.
Nicht immer ist die Außensicht verfälschend oder gar diffamierend. Dieses Beispiel habe ich heute gelesen - die Darstellung der anthroposophischen Medizin auf einer Netzseite der privaten Krankenversicherungen. Unten gebe ich Querverweis auf den vollständigen Text. Doch zunächst ein paar Auszüge:
Anwendungsgebiete der anthroposophischen Medizin
Eine der bekanntesten Anwendungen der anthroposophischen Medizin stellt die Misteltherapie gegen Krebserkrankungen dar. Die Heil-Eurythmie wird mit Erfolg bei Erkrankungen des Bewegungsapparates angewendet und hilft auch gegen Herzerkrankungen sowie bei Krankheiten des Nervensystems. Ihre Anwendung bei psychischen Erkrankungen wird getestet, wobei sie als ergänzende Therapieform sehr gute Ergebnisse zeigt. Einen weiteren Anwendungsbereich der Heil-Eurythmie stellt die Behandlung kindlicher Entwicklungsstörungen dar.
Nebenwirkungen und Kritik der anthroposophischen Medizin
Die bei Krebserkrankungen zum Einsatz kommende Misteltherapie wird häufig kritisch betrachtet. Bei der Bewertung dieser Therapieform ist zu berücksichtigen, dass sie auch nach der anthroposophischen Lehre als ergänzende Behandlung anzuwenden ist, so dass sie keine Konkurrenz zu einer Operation oder der Chemotherapie darstellt. Während die Misteltherapie die Nebenwirkungen einer Chemotherapie tatsächlich mildern kann, ist ihr Nutzen für die erfolgreiche Krebsbehandlung umstritten. Als Nebenwirkungen der Misteltherapie können Erbrechen, Fieber und auch eine kurzzeitige geistige Verwirrung auftreten.
Kostenerstattung durch Krankenkasse und private Krankenversicherung Krankenzusatzversicherung
Die Heil-Eurythmie gilt als unbedenklich, ihre Wirksamkeit wird auch von einigen gesetzlichen Krankenkassen anerkannt. Sowohl über eine private Krankenversicherung (PKV) mit entsprechendem Leistungseinschluss als auch über die private Krankenzusatzversicherung werden Behandlungskosten für die anthroposophische Medizin erstattet. Auch strenge Kritiker der anthroposophischen Medizin erkennen grundsätzlich an, dass bei dieser Therapieform der Patient als ganzheitlicher Mensch gesehen wird und dass sich die behandelnden Ärzte sehr viel Zeit für das Gespräch mit ihren Patienten nehmen.
Über mich und mein Weblog Wenn Du der Wertschätzung meiner Tätigkeit und Artikel Ausdruck geben möchtest oder Sie das tun mögen, dann ist das über das unter "Lebenslauf" angegebene Konto möglich ... Gerne auch geldlos, dann bitte über E-Post Verbindung aufnehmen. Herzlichen Dank!
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