25. September 2005 bis 5. Februar 2006
Niki de Saint Phalle (1930 – 2002) und Jean Tinguely (1925 – 1991) zählen zu den wichtigsten Künstlerpaaren der Kunstgeschichte. Seit Anfang der 1960er Jahre führten sie über 30 Jahre lang eine fruchtbare Lebens- und Arbeitsbeziehung, die ihresgleichen sucht. Erstmals widmet das Sprengel-Museum Hannover ihnen eine gemeinsame Ausstellung – und ein fundiertes Katalogbuch.
L’art et l’amour – die Kunst und die Liebe: Die Ausstellung vermag den Zauber dieser – gewiss oft schwierigen – Beziehung auf beeindruckende Weise zu vermitteln: durch die Werke von beiden (einzeln oder gemeinsam), kleine weitere Schöpfungen (künstlerisch durchwirkte Briefe z.B.) und viele, viele Dokumente, nicht zuletzt eine Reihe von wichtigen Filmen, die auf Flachbildschirmen gezeigt werden.
Ich bewundere immer wieder die Ausstellungsmacher des Sprengel-Museums, die es verstehen, feine Bezüge herzustellen, die heimlichen Querverbindungen sichtbar zu machen. So finden sich in einer der ersten Abteilungen Reliefbilder der Niki, die mit Drahtgebilden von Jean ergänzt wurden, das Porträt der Niki auf Rollschuhen (das beide Namen als Urheber nennt) und kinetische Gebilde (die man in Bewegung versetzen darf) von Jean, die mit einer Feder geziert sind, die Niki angeregt hat. Um das mit den Federn zu verstehen, muss man natürlich auch die Karte an Pontus Hulten entdeckt haben, auf der Jean schreibt, Niki habe ihm gesagt, „Es wäre gut, wenn du Federn an deine Dinger machen würdest“ ... Überhaupt enthalten die Vitrinen in der Mitte oft die Dokumente, die den Schlüssel zum Ganzen bieten – man sollte sie also auf keinen Fall übersehen.
Der Ausstellungsrundgang folgt in etwa der Chronologie, wobei die dokumentierenden Fotos an den Längswänden aufgehängt sind; sie bilden das durchgehende Gliederungselement, ebenso im Katalog. Wenn man sich durch den üblichen Sonderausstellungsraum „hindurchgearbeitet“ hat, sollte man auf keinen Fall die Fortsetzung in dem etwas tiefer gelegenen Raum neben der Eingangshalle versäumen, sonst würden einem einige Jahre fehlen. Andererseits: Die ganze Ausstellung ist eine so unglaubliche Fundgrube, dass ein intensives „Einsehen“ im Zeitschema eines üblichen Museumsbesuchs (üblich für von vornherein Interessierte) von einer bis eineinhalb Stunden rasch zur Überforderung wird. Es empfiehlt sich also sowieso, den Besuch in mindestens zwei Portionen aufzuteilen.
Vieles, was die beiden Künstler gemacht haben, ist nicht einfach in einem Museum auszustellen – so die Freilandskulpturen, die nicht versetzt werden können (man kann dann höchstens Entwürfe oder Modelle zeigen), oder die vielen vergänglichen Kunstaktionen, von denen nur die Filmdokumente geblieben sind. All das dennoch - mit den ausstellbaren Objekten zusammen – vor dem geistigen Auge sichtbar zu machen, das ist dem Sprengel-Museum auf höchst beeindruckende Weise gelungen!
An dieser Stelle können nur einige Stationen genannt werden:
Die Kooperation beginnt mit Assemblagen der Niki, denen Jean feine Drahtgebilde hinzugefügt hat, und dem Porträt auf Rollschuhen, das deutlich von beiden Elemente enthält (1961).
Bild 2: Assemblage with fire-Engine, um 1960/61; Bild 3: Portrait sur patins à roulettes (Porträt auf Rollschuhen), 1961.
Im selben Jahr 1961 in Impasse Rosin erste Schießbilder mit „objets trouvés“, selbst zusammengesammelten Gegenständen.
1961: „Balubas“, kinetische Skulpturen Jeans mit einer (Vogel-)Feder.
1962: Study for an End of the World No.2, Las Vegas (explosive Aktion mit Gegenständen vom Müll- und Trödelplatz).
1966: Eloge de la Folie, Paris: der große Choreograph Roland Petit hatte Jean, Niki und Martial Raysse zur Mitarbeit an dem Ballett mit dem Titel „Lob der Torheit“ nach Erasmus von Rotterdam aufgefordert. Das Filmdokument gehört für mich zu den beeindruckendsten Momenten der Ausstellung.
1966 in Stockholm die begehbare Skulptur „Hon“ (= Sie), seinerzeit ein großer Skandal.
1969: Le Cyclop, Milly-la-Forêt: die einäugige Großskulptur in einem Wald südlich von Paris, ein Gemeinschaftswerk mehrerer Künstler unter Jeans Führung; die Spiegelflächen des Gesichts natürlich von Niki.
1972: Der Golem, Jerusalem – eine Spielskulptur für Kinder.
1975: Une rêve plus long que la nuit – Nikis Filmprojekt unter Mitarbeit Jeans.
1979 - 2000: Il giordano dei Tarocchi (Der Tarotgarten) in Garavicchio.
1983: La Fontaine Stravinsky, Paris – der Strawinski-Brunnen.
1989: Stabilisations, Paris.
1989: Le Grand Oiseaux Amoureux, La Verrerie
Der Katalog ist eine Fundgrube für sich und lohnt unbedingt auch den Extrakauf (falls jemand die Ausstellung nicht besuchen kann) (in der Ausstellung 18 Euro; Buchhandelsausgabe Prestel-Verlag 29,95 Euro).
Die Vorderseite des Katalogs zeigt ein Foto der beiden Künstler in jungen Jahren (1963, Soisy-sur-Ecole); die Rückseite zeigt sie in späteren Jahren (1991 im Tarotgarten; Jean kurz vor seinem Tod im Blaumann), sodass schon äußerlich die Spanne der über 30 Jahre währenden Beziehung anschaulich gemacht wird.
Bilder 1 und 4 (SW-Fotos).
Zwei Elemente des Katalogbuchs haben mich besonders berührt:
(1) der persönlich gefärbte Aufsatz der Enkelin Bloum Cardenas (Tochter von Nikis Tochter Laura) „Niki & Jean“;
(2) der Brief, den Niki an Jean nach seinem Tod schreibt.
Ein Zitat aus (1):
„Niki und Jean waren sehr wichtige Menschen in meinem Leben, auf sehr unterschiedliche Weise. Beide waren immer meine Schutzengel. Ich liebte sie innig und vermisse sie sehr. Sie waren wirklich wie Zauberer in meinem Leben; ich nannte sie meine heiligen Monster ... So geht es bei diesem Projekt (der Ausstellung) auch ein wenig darum, meine Liebe mitzuteilen und die tief empfundene Dankbarkeit auszudrücken...“
Und ein Zitat aus (2) in Übersetzung (s. auch Grafikkopie):
„Lieber Jean, ich bin zum Strand hinter dem Pier gegangen, wo es all diese verrückten Felsen gibt. Solche, die wie Haifische aussehen und Wale und Froschrücken. DU WARST DORT. Plötzlich sah ich dich! ... WARUM BIST DU NOCH HIER? WARUM BIST DU NICHT HIER?“
Sprengel Museum Hannover, Kurt-Schwitters-Platz, 30169 Hannover
Telefon: (0511) 168 - 4 38 75, Telefax: (0511) 168 - 4 50 93
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24. und 25.12.2005 geschlossen
26.12.2005 von 10 - 18 Uhr geöffnet
31.12.2005 geschlossen
1.01.2006 von 13 - 18 Uhr geöffnet bei freiem Eintritt
Eintrittspreise
Sammlung des Museums und Sonderausstellungen: 7 Euro, ermäßigt 4 Euro
Ermäßigter Eintritt: Schüler ab 13 Jahre, Auszubildende und Studierende, Wehr-/ersatzdienstleistende, Arbeitslose, Teilnehmer an Forum-Kursen der VHS und Senioren ab 65 Jahren
Gruppen ab 10 Personen: 5 Euro, ermäßigt 3,50 Euro
Jahreskarte (Sammlung und Sonderausstellung): 30 Euro, ermäßigt 15 Euro
das wir wirklich ein fundierter bericht - ich habe mich schon seeehr viel mit NdStPh und ihrer lebensgeschichte beschaeftigt - und so hat mir der bericht echt freude gemacht, zumal ich fuer einen besuch der ausst zu weit entfernt wohne. aber den katalog werde ich mir auf jeden fall besorgen!
lg ingrid h
Kommentiert von: ingrid h | 10. November 05 um 05:00 Uhr
Das war für mich ein sehr informativer und interessanter Beitrag.
Ich habe die Künstlerin bisher von dieser Seite noch nicht so gut gekannt.
Herzlichen Dank dafür.
Annette Wilhelm
Kommentiert von: Annette Wlhelm | 09. November 05 um 18:28 Uhr