Hilde Domin und ihre „Schwestern“
Gedichte von Frauen - “weibliche Lyrik”?
So hatte ich einen Literaturabend bei mir im LebensLese.Treff. genannt. Zum Anlass hatte ich Hilde Domins Tod genommen – sie war am 22. Februar 2006 verstorben, im Alter von 96 Jahren. Ihr an die Seite gestellt hatte ich die „Schwestern“ Ulla Hahn und Sarah Kirsch. Alle drei schreiben überwiegend Gedichte (nur Ulla Hahn hat sich seit einiger Zeit verstärkt der Prosa gewidmet).
Bei der Beschäftigung mit Hilde Domin stieß ich auf einen Artikel (Nachruf) in der FAZ von Harald Hartung, der ein besonders anschauliches Bild vermittelt. „Die Mutmacherin“ nennt er sie.
Bis zuletzt waren ihr Gesundheit und geistige Frische erhalten geblieben. Sie hatte mit neunzig noch einen Gedichtband veröffentlicht, der „sie auf der Höhe ihrer Kunst zeigt“. Der Titel: “Der Baum blüht trotzdem.“ Ein Buch des Abschieds. Eines der Gedichte fängt so an: „Mein Herze / wir sind verreist / nach verschiedenen Weltteilen“ und richtet sich an ihren Mann Erwin Walter Palm, der bereits 1988 verstorben war. „Mein Herze“ heißt es, nicht „Mein Herz“. „Wann hat“, so schreibt Harald Hartung, „ein kleines e so viel Charme, soviel Zärtlichkeit entfaltet?“
Hilde Domin wurde als Tochter des jüdischen Anwalts Löwenstein am 27. Juli 1909 in Köln geboren. Sie studierte von 1929 bis 1932 in Heidelberg, Bonn, Köln und Berlin zunächst Jura, später Volkswirtschaft, Soziologie, Philosophie. 1932 emigrierte sie mit dem Kunsthistoriker Erwin Walter Palm, den sie 1936 heiratete, nach Rom. 1939, nach dem Hitler-Mussolini-Pakt, wurden die beiden ausgewiesen. Sie flohen nach Großbritannien, später in die Dominikanische Republik, wo Hilde Palm erst als Übersetzerin und Fotografin, dann als Dozentin für Deutsch an der Universität Santo Domingo arbeitete.
Erst hier konnte ihr Mann die „Geburt der Dichterin“ miterleben – hier komme ich wieder auf die anschauliche Schilderung von Hartung zurück, wörtlich: Da wir bei Erwin Walter Palm sind, darf gesagt werden, daß er der erste Zeuge einer Geburt war, der wichtigsten im Leben Hilde Domins. Ihrer eigenen nämlich, ihrer Geburt als Dichterin. Das Paradox ist schnell aufgeklärt. „Ich habe ein Gedicht geschrieben”, mit diesem Satz überraschte Hilde Palm eines Morgens ihren Mann, der allenfalls eine neue Übersetzung erwartet hatte und sagte: „Du schreibst keine Gedichte.” Das war 1951, da war die eben geborene Dichterin schon über vierzig. Erst von jetzt ab nannte sie sich Hilde Domin - zu Ehren Ihres Gastlandes.
1954 kehrte sie mit ihrem Mann nach 22 Jahren Exil in die Bundesrepublik zurück. 1957 erschienen ihre ersten Gedichte in Zeitschriften, und ab 1960 lebte sie als freie Schriftstellerin. Bei Lesungen trug sie ihre Gedichte oft zweimal vor. In einem Interview hat sie gesagt:
Ein Schriftsteller braucht drei Arten von Mut. Den, er selber zu sein. Den Mut, nichts umzulügen, die Dinge beim Namen zu nennen. Und drittens den, an die Anrufbarkeit der anderen zu glauben.“
Natürlich soll hier auch ein Gedichtbeispiel zitiert werden, eines, das ich besonders liebe:
Ich will dich
Freiheit
ich will dich
aufrauhen mit Schmirgelpapier
du geleckte
(die ich meine
meine
unsere
Freiheit von und zu)
Modefratz
Du wirst geleckt
mit Zungenspitzen
bis du ganz rund bist
Kugel
auf allen Tüchern
Freiheit Wort
das ich aufrauhen will
ich will dich mit Glassplittern spicken
daß man dich schwer auf die Zunge nimmt
und du niemandes Ball bist
Dich
und andere
Worte möchte ich mit Glassplittern spicken
wie es Konfuzius befiehlt
der alte Chinese
Die Eckenschale sagt er
muß
Ecken haben
sagte er
Oder der Staat geht zugrunde
Nichts weiter sagt er
ist vonnöten
Nennt
das Runde rund
und das Eckige eckig
Über Ulla Hahn und Sarah Kirsch berichte ich in weiteren Artikeln.
Weitere Infos: faz.net oder bei Wikipedia. Eine andere Blogger-Persönlichkeit bei typepad berichtet ebenfalls über Hilde Domin.
© Bildquelle: Pressefoto des S. Fischer Verlages, nicht frei verfügbar;
Text: Dr. Helge Mücke, Hannover, mit den angegebenen Zitaten
Tags: Domin,_Hilde Lyrik Domin
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