„die horen“ neu: Nr. 222, Jahrgang 51
Das soll der heißeste Tag des Jahres gewesen sein (gestern 20. Juli
2006). Was kann man dann hier machen, im 5. Stock unter dem Flachdach
nach Südwesten?
Zum Glück fand ich die neue Ausgabe „die horen“ in meinem Briefkasten.
Ich konnte mich also am Vormittag auf den Balkon setzen und in der Zeitschrift schmökern. Wunderbar!
Diese Manie, von hinten zu blättern ...
Erst fällt mir das Bild Martin Walsers ins Auge, von dem ich gerade
jeden Morgen im Radio die Lesung aus seinem neuen Roman „Angstblüte“
höre, aber das ist eine Anzeige. (Gut, dass es Anzeigen gibt, wenn sie
die Zeitschrift erhalten helfen ...)
Dann blättere ich im Verzeichnis „Die Autoren, Künstler &
Übersetzer“ und freue mich wieder einmal daran, dass Übersetzer
gleichberechtigt genannt werden!
Als nächstes sehe ich das Foto von Paul Raabe und bald danach (davor)
das Pastellporträt Friedrich Schillers: Raabe schreibt über die
damaligen „Horen“ im klassischen Weimar, Urbild der jetzigen
Zeitschrift. Man muss sich das deutlich vor Augen führen: Schillers
Projekt ließ sich nur zwei Jahre durchhalten, 1795 bis 1797 - und doch
ist es für Klassik und Idealismus höchst bedeutsam, nicht zuletzt, weil
es die Freundschaft zwischen Schiller und Goethe begründet hat. Die
„Horen“ neueren Zuschnitts gibt es nun schon seit 50 Jahren, dies ist
deshalb auch das Jubiläumsheft, es enthält „Echolaute“ zu den
Feierlichkeiten!
Schon die Überschriften machen mich neugierig: „Vom gemeinschaftlichen
Hang zum Leidenschaftlichen“ (Christina Weiß) und „‘Wir die Liebhaber
leiser Stetigkeit, danken und verneigen uns ...‘“ (Johann P. Tammen,
Herausgeber seit zwölf Jahren). Und an Katja Müller-Langes Laudatio
„Pioniertaten, Expeditionen, Entdeckungsreisen“ lese ich mich fest; wer
weiß, vielleicht angeregt durch die schönen Fotos von Isolde Ohlbaum.
Wohl tuend, dass die Hefte nach wie vor nicht dem bunten Trend folgen
und nur Schwarz-Weiß-Fotos bringen - oder „Duoton“, sagt man wohl heute
... Die Schriftstellerin schreibt über die hohe Qualität der
Zusammenarbeit mit den Redakteuren, die sie anredet, nachdem sie
beschrieben hat, wie es bei anderen Redaktionen üblich ist: „statt
dessen hattet ihr Projekte, die mich reizten, meine Neugier, nicht
zuletzt die auf mich selbst, anstachelten. Für diese literarischen
Projekte wolltet ihr Texte, extra und ganz exklusiv. Den Themen, die
ihr mir vorgabt, verdanke ich, daß es nun einige Texte von mir gibt,
die sonst sicher nicht entstanden wären. Texte, in denen ich Anderes
und Neues wagte ...“
Johann P. Tammen, der jetzige Herausgeber, schreibt über Kurt
Morawietz, den Begründer und ersten Herausgeber, und nennt seinen
Aufsatz „Vom Credo eines Unangepassten“. Am Schluss wird ein Gedicht
von Morawietz zitiert, das „War einmal“: „Die Signaturen verblassen
schon / unter der Hand, Runen und Staben von Buchen / sind Fremde
geworden, einsam verloren. / Die Erben fahren auf glatten Straßen, /
sie finden sicher den kürzesten Weg, ... / sie kommen ohne mich aus.“
Das be-trifft offensichtlich die Schwierigkeiten, Kultur durchzusetzen,
mit denen auch Schiller schon zu kämpfen hatte - und die in Zeiten des
Internet, bezogen auf das gedruckte Wort, eher noch größer geworden
sind. (Und ich schreibe das hier in einem Blog, den ich kühnerweise
schlicht „Kultur“ nenne und mit dem ich möglicherweise auch ein klein
bisschen zu den zunehmenden Schwierigkeiten beitrage ...)
Jetzt bin ich beim Blättern von hinten an die Grenze des
Schwerpunkt-Themas gestoßen; denn jedes Heft hat einen Schwerpunkt.
Dieses Mal heißt er (ich zitiere vom Umschlag): Gombrowicz, Schulz,
Witkacy: Die „großen Drei“ und ihre Kinder - Beispiele moderner
polnischer Prosa.
Natürlich wechsle ich jetzt die Richtung und fange von vorne an zu
blättern, sonst hätte ich ja gar nicht die Gliederung mitbekommen -
drei Teile: I. Meister und Tagelöhner der Transgression (was
mit „Transgression“ gemeint ist, weiß ich bisher nicht, aber es regt
meine Neugier an), II. Mythenbilder, III. Herolde der
Katastrophe.
Der Platz hier erlaubt es nicht, weitere Einzelheiten zu beschreiben
(vielleicht später ein Extra-Artikel?), aber ich möchte einen Hinweis
auf den Prozess geben, der zu dem Ergebnis dieses Polen-Schwerpunktes
geführt hat - zu Ehren des intensiven Engagements, das jedes Heft
dieser Zeitschrift „die horen“ erfordert!
S. 230/231 heißt es unter „Quellen und Dank“ (und bei aller
Sachlichkeit schimmern Emotionen durch): Wir danken dem Instytut Książki in Krakau für die Idee zu diesem horen-Band - und mehr noch für die monatelange
intensive und rundum verläßliche planerische Vorarbeit und durchgehende
Betreuung, für unerläßliche Recherchen und liebwerte Unermüdlichkeit im
Engagement. Wir sagen Dank mit großer Anerkennung. - Mögen unsere Leser
sich nach ihrer Lektüre in diesen Dank mit einbeziehen wollen.“
Dem kann ich nur anfügen: Mögen Sie sich angeregt fühlen, selber in
dieser Zeitschrift zu lesen ... Weitere Infos unter http://www.die-horen.de.
© Dr. Helge Mücke, Hannover
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