Na-Young Lee: Seh(e)nsucht, Malerei - Ausstellung im Herbst 2006 im kunstraum44 (Choco-L-Art), Hannover, Voßstr. 44
„Das Hauptthema meiner Arbeit ist das Dasein, das sich durch das Verschwinden des Subjekts ausdrückt. In meinen vorherigen Arbeiten wurde die Existenz der Subjekte farblos (die weiße Farbe der Leinwand selbst) und beschattet dargestellt. In den jetzigen Arbeiten handelt es sich um eine andere Dimension, in der sich die Subjekte dadurch wahrnehmen lassen, nicht mehr auf der Leinwand da zu sein, sondern ihren Schatten auf dem Objekt zu hinterlassen, das von den Zuschauern als ein Subjekt betrachtet wird.
Die Kinder werden in meinen Arbeiten bevorzugt. Sie sind naiv, ehrlich und reagieren auf alle Kleinigkeiten direkt.
Die Existenz selbst entspricht dem Dasein. Ich spüre jedoch ihre Bedeutung eher durch das Nicht-Dasein oder das Nicht-Direkt-Dasein.“
Das hat die Malerin Na-Young Lee über ihre Kunst gesagt. Das hier wiedergegebene „Kinderbild“ heißt „Schatten“ (2004, Öl auf Leinwand). Das ehrliche Gesicht eines Kindes - Anlass für tiefere Dimensionen. Schatten der Zukunft? Oder hält da jemand eine Maske bereit? Wer - das Schicksal? die Gesellschaft?
Na-Young Lee stammt aus Südkorea, sie wurde 1975 in Pusan (Busan) in Südkorea geboren und lebt heute in Münster. Stationen ihres künstlerischen Weges in Kurzform: 1990 - 1993 Busan High School für Kunst; 1993 - 1998 Dong-A-Universität (Kunst); 2000 - 2001 Kunstakademie Braunschweig (bei Norbert Tadeusz); seit 2001
Kunstakademie Münster (bei Udo Scheel).
Derzeit kann man in Hannover ihre meist großformatigen Öl- und Acrylgemälde kennenlernen: Im kunstraum44 - Raum für Kunst (im Choco-L-Art) Hannover/List, Voßstr. 44 werden unter der Überschrift „Seh(e)nsucht“ noch bis zum 14. Oktober Bilder von Na-Young Lee gezeigt. Sehr empfehlenswert - nicht verpassen!
Der Galerist Heinz Fischer versucht auserlesene Schokolade mit erlesener Kunst zu verbinden - eine der unbedingt unterstützenswerten Kultur-Initiativen in Hannover! Besonders beeindruckt war ich von seiner Eröffnungsrede bei der Ausstellung. Am liebsten würde ich sie hier vollständig wiedergeben (er hat sie mir zum Nachlesen zur Verfügung gestellt, danke nochmals!), aber das würde den Rahmen sprengen. Ich muss mich auf ein paar Zitate beschränken.
„Na-Young Lee teilt ihren kreativen Weg in 2 Phasen ein:
Dasein (2002, 2003)
Kinder (2004, 2005)
In der Gruppe „Dasein“ lassen sich DAOISMUS/ZEN-Bezüge herstellen: der
Mensch in seiner begrenzten Ich-Bezogenheit, die Einordnung in ein
universelles Geschehen, die Aufhebung der Subjekt/Objekt-Trennung.
Auch in der zweiten Werkgruppe „Kinder“ beschäftigt Sie sich mit dem
Thema Existenz/Dasein: der „direkten, ehrlichen“ Reaktion der Kinder
auf die Anforderungen des Lebens.
Die beiden Werkgruppen unterscheiden sich in der figurativen
Ausprägung: während in der Gruppe „Dasein“ noch mit Schemenhaftem, mit
Umrissen, Schatten und Aussparungen agiert wird, wird die Phase
„Kinder“ fast fotorealistisch ausgeführt.
Den teilweisen Fotorealismus wird mancher Kritiker nicht gerade als
„moderne“ Kunst gelten lassen oder schnell in den Zweig einer „Neuen
Romantik“ einordnen wollen, es hat aber auch die Lebendigkeit und
direkte Ansprache, die viele Betrachter schnell fesselt und länger
bindet.
Insbesondere bei der Bildergruppe „Kinder“ konzentriert sich Na-Young
Lee auf das Gesicht und Gesichtsausdrücke und nutzt diesen
Aufmerksamkeits-Brennpunkt. Gerade hier erreicht Frau Lee eine große
Ausdrucksstärke.
Die Bild-Inhalte sind oft kontemplative Ableitungen biografischer Ereignisse und sich daraus ergebender „Fragen an das Leben“ .
Hinter den auf den ersten Blick vielleicht „glatten“(„romantischen“)
Kinder-Bildern verstecken sich die Fragen von Liebe/Hass, Krieg/Tod,
Umgang des Menschen mit der Natur, Fremdsein. Hier kommt Na-Young Lee
uns äußerlich Fremden im globalen Bewußtsein sehr nahe und ihre Malerei
wird direkte interkulturelle Kommunikation.“
Der Ausstellungstitel „Seh(e)nsucht“ bezieht sich zunächst konkret auf
ein Bild mit dem Titel - meint aber außerdem „die Sehnsucht, „gesehen“
(wahrgenommen) zu werden; die Sehnsucht, zu sehen, zu erkennen; und
natürlich einfach auch die Sucht, Bilder zu sehen“ (wiederum in den
Worten Heinz Fischers). In seiner Eröffnungsrede zieht Heinz Fischer
auch die Verbindung zur traditionellen koreanischen Ästhetik und
zitiert das Werk "Koreanische Ästhetik" von Johann Zoh (EOS Verlag,
2005). Eine zentrale Bedeutung für die koreanische Literatur und Kunst
hat der Begriff „Han“ - der sich u.a. als „Gefühl der Sehnsucht, die
nie erfüllt wird“ umschreiben lässt. Doch das wäre wirklich ein Thema
für sich!
Besuchen Sie noch die Ausstellung und lassen sich von den Bildern zu tief gehenden Gedanken anregen.
Weitere Informationen bei kunstraum44 bzw. Choco-L-Art oder auch hier ...
Das zweite Bildbeispiel zeigt ein solches Gemälde mit „Leerstelle“, wäre also der ersten Werkgruppe zuzuordnen.
© Text: Dr. Helge Mücke und Heinz Fischer (in den zitierten Passagen), beide Hannover; Bilder: Na-Young Lee, Münster
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