Im Gleichgewicht zwischen Abstraktion und Erkennbarkeit
Rudolf Jahns im Sprengel Museum Hannover, bis 21. Januar 2007
„Meine Bilder sind ... eigentlich“, hat Rudolf Jahns selber zum Ausdruck gebracht, „für die Menschen, die, obgleich notwendigerweise in der Auseinandersetzung stehend mit allen Problemen des Alltags, den Menschen in sich zu wahren wissen und begriffen haben, dass wenig viel sein kann und Allein-sein ein Born der Kraft und Erholung“.
Barbara Roselieb-Jahns, die Tochter des Künstlers, zitiert die Sätze in dem Aufsatz „Über meinen Vater Rudolf Jahns“, mit dem der Katalog eingeleitet wird. Und sie ergänzt: „Mein Vater war ein introvertierter Mensch, der nichts anderes wollte, als in Ruhe zu arbeiten – d.h. malen. An Erfolg oder Ruhm dachte er nicht. Verkaufen wollte er seine Bilder auch nicht ...“
Das Sprengel-Museum Hannover zeigt derzeit zwei größere Ausstellungen mit verwandtschaftlichen Berührungen: die über Kurt Schwitters und seinen Kreis und die Einzelausstellung über Rudolf Jahns, der von 1896 bis 1983 hauptsächlich in dem Städtchen Holzminden an der Weser gelebt und gearbeitet hat.
Wer die Ausstellung besucht, dem empfehle ich, zunächst im Flur davor den Film anzusehen, in dem die Tochter von ihrem Vater erzählt: eine liebevolle Einführung in das Werk, wie man sie sich kaum fruchtbringender vorstellen kann (leider habe ich keinen Hinweis auf die Entstehung des Films finden können).
Er habe empfunden, schreibt er 1956 in einem persönlichen Brief, „wie schön es ist, wenn gleiche Gedanken sich plötzlich an einem Punkt kreuzen (auch daraus zitiert die Tochter in dem Katalogtext).
Das kommt mir vor wie eine mögliche Leitlinie für den Besuch der Ausstellung: zu prüfen, ob es Punkte gibt, an denen sich gleiche Gedanken oder gleiche Empfindungen kreuzen.
Die ersten Zeichnungen fertigte Jahns nach einem Konzertabend mit Franz Schuberts Streichquartett „Der Tod und das Mädchen“ an, 1919 war das – diese Zeichnungen sind in der Ausstellung zu sehen. Der musikalische Umgang mit der Malerei, das Zusammenspiel von Farbklang und Form, abgestimmt zu einer ausgewogenen Komposition mit feinen Akzenten oder auch mal einem bewusst gesetzten Kontrapunkt, der das Bild in sich stimmig werden lässt, sollte Zeit seines Lebens sein Werk prägen.* 1927 (am 24. Februar) lud er Kurt Schwitters zu einem Merzabend in sein Atelier in Holzminden ein. Schwitters sollte später von „einer Art Seelenverwandtschaft“ sprechen. Im März 1927 gründeten Jahns und Schwitters zusammen mit Friedrich Vordemberge-Gildewart, Hans Nitzschke und Carl Buchheister die abstrakten hannover.
Dann war es mit der Abstraktion zunächst einmal vorbei – um sich selber und die künstlerische Arbeit nicht zu gefährden. Rudolf Jahns gelang es weitgehend, seine abstrakten Arbeiten vor den Säuberungsaktionen der Nazis zu schützen, aber er musste in die innere Emigration gehen, malte in den „unerquicklichen“ Jahren nur unverfängliche Landschaftsbilder. Auch davon werden in der Ausstellung einige wenige Beispiele gezeigt – Jahns hat es aber abgelehnt, dass diese Arbeiten in sein Werkverzeichnis übernommen werden.
Nach Kriegsende muss er erst seinen Weg wieder finden. Bis zur vorzeitigen Pensionierung 1957 übt er noch seinen Brotberuf als Finanzbeamter aus, danach muss er den Tod seiner Frau Renate (1958) und seines Sohnes (1959) verkraften. Mit den 60er Jahren jedoch sollte eine außerordentlich produktive Zeit anbrechen, es entstehen zahllose Zeichnungen und viele abstrakte Ölgemälde, die u.a. seine Auseinandersetzung mit dem Informel belegen.
Die Ausstellung zeigt 42 Gemälde, 1 Relief, 123 Originale auf Papier, 45 druckgrafische Blätter, 2 Bücher und 6 Mappen. Anlass für die Ausstellung ist die Eingliederung der Rudolf-Jahns-Stiftung in das Sprengel-Museum.
Rudolf Jahns wurde oft als „Poet unter den Abstrakten“ bezeichnet. Das kann man beim Rundgang in der Ausstellung nachvollziehen. Der Grad der Abstraktion ist allerdings, wie zu erwarten, unterschiedlich. Von einer einsinnigen Entwicklung kann und darf man dabei nicht ausgehen. Bei der Zeichnung „Liegende“ von 1952 (mittleres Bild), dem Gemälde „Große Kreißende“ von 1953 (hier nicht abgebildet) dient die Abstraktion dazu, den Frauenkörper auf das Wesentliche zu reduzieren, bei dem Gemälde eingebunden in ein Konstrukt aus geometrischen räumlichen Figuren. Eines der Bilder, die mich besonders ansprechen: die Pastellarbeit „Frühling“ (unteres Bild) ist gänzlich abstrakt und stammt bereits aus dem Jahre 1923. In dem wunderbaren Bild „Akt mit Krügen im Raum“, Öl auf Hartfaser, von 1956 (ich stehe sicher nicht allein mit meiner Meinung, wenn ich es als mein Lieblingsbild bezeichne) (oberste Abbildung) sind Abstraktion und Erkennbarkeit in einem atemberaubenden Gleichgewicht.
Aber vielleicht gibt es bei Ihnen ganz andere Punkte, an denen sich gleiche Gedanken oder gleiche Empfindungen kreuzen. Um das festzustellen, empfehle ich den Besuch der Ausstellung:
Sprengel Museum Hannover, Kurt-Schwitters-Platz, seit 24. Sept. 2006, noch bis 21. Januar 2007, dienstags 10 bis 20 Uhr, mittwochs bis sonntags 10 bis 18 Uhr.
© Text: Dr. Helge Mücke, Hannover, teilweise unter Verwendung der Pressetexte (*an dieser Stelle wurden zwei Texte des Museums zusammengefügt, sodass kein genaues Zitat mit Anführungszeichen gekennzeichnet werden kann); die Bilder wurden vom Sprengel-Museum zu Pressezwecken zur Verfügung gestellt, sie sind nicht frei verfügbar.
Hinweis: Nach Anklicken mit der linken Maustaste kann das einzelne Bild in voller Größe betrachtet werden.
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