Thomas Hettche: Woraus wir gemacht sind - LiteraTour Nord 2006/2007, 4. Lesung
Von eigenen Lese-Eindrücken kann ich dieses Mal
nicht berichten, da der Verlag kein Besprechungs-Exemplar zur Verfügung
stellen konnte. (Gewiss, das Kontingent mag irgendwann erschöpft sein;
aber meinem Eindruck nach wird in jenem Verlag der Blog-Journalismus
noch nicht ernst genommen - da ist ja inzwischen sogar die VG-Wort
weiter!)
Die 4. Lesung fand in Hannover bereits am 10. Januar des neuen Jahres statt, und zwar an einem anderen Ort: in der Buchhandlung Weiland. (Diese zählt zu den Sponsoren, deshalb wird den Regeln nach eine der Lesungen dort veranstaltet, statt in der Literaturetage.)
Thomas Hettche erzählt in dem Roman von dem Schriftsteller Niklas Kalf, der mangels ganz eigenständiger Möglichkeiten hauptsächlich Biografien schreibt. Jetzt hat er von der Witwe den Auftrag bekommen, das Leben des jüdischen Emigranten und Physikers Eugen Meerkaz zu schildern, und reist deshalb mit seiner Frau Liz zusammen zu Recherchen nach New York, seine erste Amerikareise. Aber am dritten Tag - es ist gerade der erste Jahrestag der Anschläge auf das World Trade Center - wird Liz entführt; die Entführer verlangen die Herausgabe von Meerkaz-Dokumenten (Raketenbauplänen), die Niklas gar nicht besitzt. Das weitere Leben des Schriftstellers pendelt zwischen zermürbendem Warten auf Nachrichten der Erpresser und Reise-Aktivitäten bis tief in das Innere der USA. Sucht er überhaupt seine Frau? Will er mehr über Meerkaz erfahren? Fährt er seinem Amerikabild hinterher? Ist er auf der Suche nach sich selbst und nach dem, "woraus wir gemacht sind"? Das alles sind Fragen, auf die auch der merkwürdig unentschiedene Antiheld Niklas Kalf offenbar keine Antwort weiß. Am Vorabend des Irakkrieges schließlich gibt es, so lese ich in den Inhaltsangaben, eine Art Happy End. "Hettche will alles bieten: Thriller und Road Movie", schreibt einer der vielen Rezensenten (Martin Foerster?) bei amazon.de, "Dabei bedient er sich amerikanischer Stereotype und schrammt billige Klischees."
Um das Amerikabild in einem geht es Thomas Hettche auch, wie in dem Nachgespräch deutlich wurde - das Bild, das vor allem zahllose Filme in einem erzeugt haben. Die Filme, nach deren Ende es dann so still wird und man sich verwundert fragt: Und wer bin ich bei all dem? Thomas Hettche, der gerne von einem persönlichen Kern aus schreibt, hat selber bei seiner USA-Reise die Empfindungen so erlebt: Warum nur fühle ich mich hier so wohl? Was macht dieses Leben hier so verlockend? Gibt es dennoch einen "deutschen Kern" in mir? Die vielen gebildeten Einsprengsel, literarischen Anspielungen, intertextualen Bezüge (zu Ovids "Metamorphosen" z.B.) im Roman sind, so erklärt der Autor, wie Hallräume im Kellergewölbe der Geschichte zu verstehen. Der Roman dürfe eben alles sein, Krimi oder Doku, Wahrheit oder Lüge - deshalb schreibe er bevorzugt Romane.
Zitat aus dem Werbetext des Verlages:
"Dem Autor des Bestsellers »Der Fall Arbogast« gelingt mit »Woraus wir gemacht sind« ein großes Kunststück: Ein deutscher Entwicklungsroman, der in den USA spielt, in wunderbaren Beschreibungen die Faszination des Landes einfängt und dabei nach dem Grund unseres Daseins und der Verantwortung der Liebe fragt – und den Leser vom ersten Augenblick an mit der Spannung eines atemberaubenden Thrillers fesselt."
Thomas Hettche: Woraus wir gemacht sind. Roman. Kiepenheuer & Witsch: Köln 2006. 336 Seiten, € 19,90.
© Text: Dr. Helge Mücke, Hannover; Bild: Titelgestaltung des Verlages.
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