Lyriker ohne Formzertrümmerung:
Thomas Rosenlöcher, 2008 erster Hölty-Preisträger der Stadt Hannover
Gedichte passen weniger denn je in unsere Zeit. Gute Gedichte schreiben ist schwer. Davon leben zu wollen, kann man nur für unmöglich halten.
Warum aber soll jemand Gedichte schreiben? Warum soll es überhaupt Gedichte geben? Nichts als überflüssig?
"Der Birnbaum droht mir über die Mauer", eine Überschrift - was denken Sie, wenn Sie das hören? Was fühlen Sie? Vielleicht fragen Sie sich: Wie kann ein Birnbaum drohen? Und damit haben Sie schon den Sinn eines Gedichtes bewiesen ... In einer Welt, in der es fast nur Antworten gibt, darf ein Gedicht fragen oder Fragen auslösen. "Glücklich unter Rosen hocken" fängt ein anderes Gedicht an, das "Unsagbar" heißt. Unsagbares dennoch sagen - das könnte ein weiterer Sinn von Gedichten sein ...
Ein paar Gedanken vorweg, skizzenhaft ...
Die Überschrift, der Anfang stammen von Thomas Rosenlöcher. Er ist der erste Preisträger des neu geschaffenen Hölty-Preises für Lyrik der Stadt Hannover - ein Preis nur für Gedichte! Wie mutig!
Die Idee, so habe ich es verstanden, hat Kathrin Dittmer gehabt, die Leiterin des Literaturbüros Hannover. Zur Jury gehören außer ihr Martin Rector (der auch die LiteraTour Nord betreut), Michael Braun, Cornelia Jentzsch und Michael Krüger (der Hanser-Verleger). Die Sparkasse Hannover sorgt für die finanzielle Ausstattung. Der Hölty-Preis ist mit 20.000 Euro dotiert und wird alle zwei Jahre verliehen.
Thomas Rosenlöcher also, geboren 1947 in Dresden, wo er heute noch lebt (sowie im Erzgebirge). "Am Prozess der Formzertrümmerung in der literarischen Moderne nimmt der sächsische Elbtalromantiker Thomas Rosenlöcher nicht teil", heißt es im Begründungstext der Jury - das ist im ersten Teil, wie rasch erkennbar, völlig korrekt, mit dem "-romantiker" bin ich weniger einverstanden. Das ist mir zu (ver)einfach(end) oder irreführend.
Aber ich habe ihn, diesen Dichter, Gedichte-Schreiber, vorher nicht gekannt und kenne ihn auch jetzt, klar, noch nicht wirklich - dennoch, das muss ich hier sagen: Da habe ich es einmal wieder erlebt, dieses Erlebnis der Begeisterung, es gibt es immer noch: Ich schlage das Buch mit seinen Gedichten auf, ein schmales Insel-Bändchen, "Das Flockenkarussell", und bin überwältigt!
Blüten-Engel-Schnee-Gedichte, so lautet der Untertitel, und entsprechend ist auch die Gliederung: Kirschbaumepistel - Blütengedichte, Pfingstgeistgebrumm - Engelgedichte, Ewigkeitsabrieb - Schneegedichte, Rollschuhengel - Zusatzgedichte, Elbtalengel - Lebensläufe.
Es wimmelt also nur so von Engeln - dabei heißt es "Engel hab ich mir abgewöhnt" (am Anfang von "Engelsbalance"), doch gleich in der nächsten Zeile der Widerspruch: "Aber nun dieses Klarsichtfenster" ... Nach der Wende - mit der auch Rosenlöcher nicht gerechnet hatte - soll das mit den Engeln nachgelassen haben (obgleich sie doch vielleicht gerade dann erst möglich und nötig wären?). Der Autor selber behauptet das im Nachwort zu dem Insel-Bändchen, das er genau so überschreibt: "Engel hab ich mir abgewöhnt". Aber die Rück-Wende scheint es denn doch auch gegeben zu haben. Der Apfelbaum in Kleinzschachwitz (gehört zu Dresden), in vielen Gedichten besungen, musste versetzt werden, nachdem das bisherige Domizil von Altbesitzern als Privateigentum beansprucht worden war (so habe ich es verstanden). Er musste mit ins Erzgebirge! Und die Engel gleich dazu? "... neuerdings sind sogar die, die unsereinen einen Apokalyptiker schimpften, zu Apokalyptikern geworden. Da hat der Mensch Engel nötig, vor allem, wenn er Großvater ist und seine Enkel ansieht".
Die Preisverleihung in Hannover war mit einem anschließenden Lyrikfest verbunden. Eine gute Idee! Martin Rector hat die Laudatio gehalten. "'Blüten und Schnee'", sagt Rosenlöcher laut Rector "sind die großen Verwandler, utopisch selbst noch im Moment des Erscheinens. Botschaften aus einer anderen Welt, zumindest solange sie unsereiner noch mit einem 'Das-kann-doch-nicht-wahr-sein' quittiert. Auf diese letzte Pointe kommt es an: der Mensch muss das Unglaubliche an diesen Erscheinungen erkennen, empfänglich sein für ihre Zeichen- und Mahnfunktion. Wir müssen, so lautet die Lehre, immer wieder staunen können". Funktion (Sinn) des Gedichtes?
Abschließend eines meiner Lieblingsgedichte vollständig, kurz genug:
EINES TAGS sind unsere Nasen
staunend emporgerichtet,
da wir noch immer leben
und unsere Kinder auch.
Denn in den Vorgärten ist ein Geschrei
verwilderter Blumen über den Zaun,
und über der alten Zeit
gehen die Kindeskinder,
winkend auf gläsernen Wegen,
unter den Lichtwasserfällen.
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