Kapital = Geist, ein Buchtipp zum Thema Sozialunternehmertum - oder auch "Pioniere der Nachhaltigkeit"
Kapital = Geist: Bei dem Titel habe ich zunächst dreimal geschluckt und "schön wär's" gedacht, aber der Verlag mag sich darüber ja freuen, denn wenn er bereits mit diesem kurzen Titel erreicht, dass der mögliche Käufer und Leser stutzt und zu einem ersten Nachdenken angeregt wird, dann hat er doch schon sehr viel erreicht!
"Social entrepreneurship" - "Sozialunternehmertum" -, ethische Wirtschaft, nachhaltiges Wirtschaften, ja "Karma-Kapitalismus" oder wie immer die modernen Begriffe dafür lauten, sie deuten an, dass es (zunehmend) neuartige Formen des Unternehmertums gibt, die über das bloße Gewinnstreben hinausgehen. Der Untertitel dieses Buches: "Pioniere der Nachhaltigkeit", aber macht deutlich, dass es einige Unternehmen gibt, die diese Richtung schon länger eingeschlagen haben. Zwölf Beispiele werden vorgestellt, alles Betriebe, die mehr oder weniger anthroposophisch inspiriert sind - von Weleda und Wala über Voelkel-Säfte und Stockmar-Farben bis zu DM und hess-natur.
In einer erfreulich kurzen Einleitung führt Herausgeber Jens Heisterkamp zu den Grundlagen hin, die bei aller Verschiedenheit diesen Betrieben gemeinsam sind. Auf einer grundlegenden Ebene sei "die nachhaltige und ethische Ausrichtung für anthroposophisch orientierte Unternehmen schon immer eine Konsequenz, die sich aus dem Menschenbild der Anthroposophie ergibt. Denn für die Anthroposophie sind Freiheit und Verantwortlichkeit zwei Seiten der gleichen Entwicklungsdynamik. Steht doch im Mittelpunkt der Steinerschen Lebensphilosophie der individuelle Mensch, der sich meditativ und reflektierend als Teil eines umfassenden, Einen Bewusstseins erfassen kann ..." In einem Nachwort geht Ulrich Rösch der Geschichte der Impulse Rudolf Steiners nach. Die Unternehmensporträts sind informativ, mit Faktenblatt und Blick auf die Geschichte, und flüssig geschrieben, manchmal in Gesprächsform; nicht immer entgehen sie der Gefahr der Idealisierung (nicht immer dürften Anspruch und Wirklichkeit in Deckung sein). Drei ordnende Überschriften: I. Anthroposophie als Marke, II. Anders mit Geld umgehen, III. Prägende Unternehmer. Keine Einzelheiten an dieser Stelle, Sie müssen schon selber lesen. Die Umschlaggestaltung ist schlicht, was ich hier als angenehm empfinde, kein Bild, ein goldener (goldbrauner) Grundton. Fällt im Üblichen auf! Eine sehr empfehlenswerte Lektüre, vor allem, wenn man nach dem Bombardement mit Negativmeldungen aus dem global-neoliberalen Umfeld wieder einmal etwas Erholung braucht, um neue Initiativkraft zu entzünden.
Hoppla, gerade merke ich, dass ich diese Buchbesprechung gar nicht so schreiben wollte - doch vielleicht kriegen meine Leser und ich ja noch die Wende hin.
Beim ersten Blättern nämlich fiel mir eine Bergwanderung ins Auge und ich begann, in der Fantasie mitzuwandern. Der Duft von Bergkräutern stieg mir in die Nase. "Sie (die Kunden) können aber auch" - so heißt es im Abschnitt über Speick, die Naturkosmetik-Firma, die durch ihre verträglichen Seifen bekannt wurde - "an einem der zur Blütezeit im Hochsommer durchgeführten Speick-Spaziergänge in den Nockbergen teilnehmen - Marlene Grünbacher, 'Erfinderin' dieser Hochgebirgs-Wanderungen, führt einen dann durch die Bergwelt. Auf vielen der Jause-Stationen kann man dann den Muskelkater mit Speicköl behandeln oder sich anderweitig mit Speick-Produkten verwöhnen lassen ..."
Darin liegt der eigentliche Wert des Buches, dass es solche sinnlich fassbaren Eindrücke vermittelt, in denen das auch Besondere dieser Firmen aufglüht, nur in ein paar Sätzen oder gar zwischen den Zeilen. Dem möchte ich noch ein bisschen nachgehen ...
Von den Hannoverschen Kassen - der Pensionskasse hauptsächlich für Waldorflehrer - wird ein Foto gezeigt, auf dem Menschen einander berühren; es stammt von einer Mitgliederversammlung. "Ich werde nicht vergessen, wie wir das erste Mal auf einer Kunstveranstaltung in Florenz waren und uns drei Tage mit Michelangelo beschäftigt haben, da standen wir vor einer Pietà und unser Professor sagte: 'So, jetzt machen wir mal eine Übung, nicht acht Sekunden wie der typische Mona-Lisa-Tourist, sondern ihr habt jetzt die Aufgabe, 30 Minuten das Kunstwerk zu betrachten.'", erzählt der Geschäftsführer der Drogeriekette dm (es wird aber nicht ganz klar, wer in dem Fall "wir" ist - eine Schulung für Führungskräfte?). Ein Foto zeigt den GLS-Windpark Warburg (GLS = Geben - Leihen-Schenken, die Ethikbank in Bochum). Ein anderes Foto zeigt einen Mann, der mit konzentriertem Blick in seiner Hand Dinkelmehl prüft; er hat dem Sack, der vor ihm steht, eine Probe entnommen. "Schon beim Betreten des Hauses" Stockmar, Hersteller von Wachsmal- und Aquarellfarben, "kommt einem der Geruch von Bienenwachs und etwas wie eine wärmende Hülle entgegen ..." "'Schon wenn sie die Schachtel öffnen', ... 'sagen die Kunden: Das ist aber ein schönes Produkt. Die Farben sehen schön aus, sind irgendwie harmonisch. Sie riechen gut. Fassen sich gut an. Man könnte richtig reinbeißen.'" "Einzigartig an Sonett" - der Firma für ökologische Reinigungsmittel - "ist, dass den Produkten rhythmisierte Zusätze beigegeben werden. Sie werden in komplizierten Verfahren hergestellt, die auf lange Erfahrungen einer subtilen Wasserforschung zurückgehen und sollen eine heilende Wirkung in die Wässer bringen, die bei Verwendung von Sonett-Produkten genutzt werden. Auch das gesamte bei der Produktion verwendete Wasser läuft durch einen Wasserwirbler, wodurch es in Bewegungs-Abläufe hineinkommt, die seiner inneren Natur entsprechen. Kristallbilder dieses Wassers verdeutlichen tatsächlich, dass es die Qualität von Quellwasser aufweist ..."
Wie gesagt: Lesen Sie!
Kapital = Geist. Pioniere der Nachhaltigkeit: Anthroposophie in Unternehmen. Zwölf Porträts. info3-Verlagsgesellschaft: Frankfurt a.M. 2009. 176 S. EUR 24,00.
(C) Text: Helge Mücke, Hannover; Bild: Titelbild des Verlages
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