Eifelbienen in dunkler Zeit
Norbert Scheuer: Winterbienen. Roman. Verlag C.H.Beck, München 2019, 319 Seiten, 22 EUR.
Einen vielschichtigen Roman zu schreiben, der trotzdem gut verständlich und leicht lesbar ist, dürfte nicht einfach sein. Norbert Scheuer (Jahrgang 1951) kann das. Sein Roman „Winterbienen“ stand auf der Shortlist zum Deutschen Buchpreis 2019, hat ihn aber nicht bekommen. Vielleicht, weil die Geschichte sich der eindeutigen Einordnung entzieht? Was ist es? Ein Heimatroman (aus der Eifel, wo der Autor geboren wurde und auch heute lebt)? Ein Dokumentarroman über die Zeit vom Winter 1944 bis Frühjahr 1945? Eine Erzählung in Tagebuchform? Ein Antikriegsroman? Ein Widerstandsbericht? Eine Darstellung für Flugbegeisterte? Oder gar ein Naturdokument? Von allem ein bisschen … ich gebe zu, dass mich das stört. Das mag subjektiv sein, doch der Autor packt einfach zu viel hinein und damit wird der Roman unglaubwürdig. (Auch ein rein fiktionaler Text sollte in sich stimmig und damit glaubwürdig – des Glaubens wert – sein.)
Die Hauptfigur mit dem Namen Egidius Arimond lebt in den letzten Kriegsjahren des Zweiten Weltkriegs im kleinen Ort Kall in der Eifel, über dem die britischen und amerikanischen Bomber anfliegen. Er ist Latein- und Geschichtslehrer - aus gesundheitlichen Gründen vorzeitig entlassen -, Bienenzüchter, womit er jetzt schlecht und recht seinen Lebensunterhalt verdient, Epileptiker und Fluchthelfer, was ihm ein nötiges Zubrot verschafft. Dem Euthanasie-Programm der Nazis entsprechend war er als Epileptiker zwar zwangssterilisiert worden, konnte aber am Leben bleiben, weil sein Bruder, ein hoch angesehener Fliegerheld, seine schützende Hand über ihn hielt und ihm zunächst auch die rettenden Medikamente besorgen konnte. Der Roman ist als Zitat aus dem Tagebuch gestaltet, das Egidius heimlich führt, über jedem Abschnitt ist das Datum des Eintrags angegeben. Einige Bienenstöcke, die er nahe der belgischen Grenze stehen hat, geben ihm die Gelegenheit, ab und zu ohne Aufsehen an die Grenze zu fahren – und dabei jüdischen Menschen zur Flucht zu verhelfen. Er versteckt sie in Bienenkästen und schützt sie durch einen verblüffenden Trick: Er befestigt mehrere Lockenwickler an ihrer Kleidung, in denen jeweils eine Bienenkönigin sitzt. Arbeiterbienen, die ihre Königin versorgen wollen, bedecken den ganzen Körper des Flüchtlings wie ein Mantel; bei einer möglichen Kontrolle sind nur die Bienen zu sehen, die bedrohlich wirken. Macht Egidius das aus Nächstenliebe oder des Geldes wegen, um seine teuren Medikamente bezahlen zu können? Der Autor lässt es offen. Gegen Kriegsende nehmen Egidius' Schwierigkeiten zu: Er bekommt keine Medikamente mehr, er hat ein Verhältnis mit der Frau des Kreisleiters und er wird schließlich an die Gestapo verraten (die ihn verhört, aber wieder freilässt). Wie es ausgeht, wird hier nicht verraten.
Eingestreut in den Text sind hübsche Skizzen von verschiedenen Flugzeugtypen mit Erläuterung. Der Sohn des Autors, der sie offenbar angefertigt hat, möge mir nachsehen, wenn ich sie für entbehrlich halte. Gerade, weil sie so gelungen sind, tragen sie zur Verharmlosung der schrecklichen Kriegsjahre bei.
Aus einem Nachwort, wenn wir ihm Glauben schenken wollen, erfahren wir, dass Dorfbewohner den Autor auf die Geschichte aufmerksam gemacht und ihm alte Papiere aus der NS-Zeit übergeben haben, die sich beim Aufräumen einer Scheune gefunden haben. Bei meinen Buchbesprechungen habe ich gelegentlich positiv hervorgehoben, wenn bei einem fiktionalen Roman auf dokumentarischer Grundlage aus dem Nachwort oder den Danksagungen hervorgeht, wie gründlich die Autorin, der Autor recherchiert hat. In diesem Fall aber setze ich Fragezeichen, denn diese Rahmengeschichte ist sicherlich erfunden. Schade, wem darf ich als Leserin oder Leser noch trauen, wenn ein angeblicher realer Hintergrund als fiktives Element eingesetzt wird? Die Rechercheleistung des Autors ist auch ohne das noch bewundernswert genug, denn die Danksagungen und das Literaturverzeichnis (danke!) lassen erkennen, wie gründlich sich der Autor vor allem in die Bienenkunde eingearbeitet hat.
Um nicht missverstanden zu werden, sei abschließend betont, was eingangs schon angedeutet wurde: Sprachlich ist dieses Erzählwerk hervorragend, wegen seiner Vielschichtigkeit, der vielen Querbezüge und der differenzierten Stilmittel. Ich empfehle die Lektüre.
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