Die Doppelausstellung in der Kestnergesellschaft Hannover mit Werken von Katinka Bock und Jean-Luc Mylayne, auf die ich hier und hier bereits hingewiesen habe, geht trotz Verlängerung an diesem Wochenende (23.8.20) zu Ende. Nachdem ich sie gestern selber mit großer Begeisterung besichtigt habe, möchte ich noch einmal den Besuch empfehlen, sozusagen "in letzter Minute".
Die neun Meter lange Skulptur "Rauschen" (2019) von Katinka Bock ist das zentrale Werk der Ausstellung im Oberlichtsaal. Es ist die größere Ausführung einer kleinen Skulptur, bei der die Künstlerin ein oft geübtes Verfahren angewendet hatte. Ein Objekt wird in eine feuchte Tonplatte eingewickelt und gebrannt, wobei das Objekt zu Asche wird und einen Hohlraum hinterlässt. Bei "Rauschen" wurden auf die Tonform die alten Kupferplatten der renovierten Kuppel des Anzeiger-Hochhauses aufgebracht. Der Titel kann auf Gehäuse von Meeresmuscheln bezogen werden oder auf das Grundgeräusch der Schreibmaschinen im früheren Anzeiger-Hochhaus. Die Kupferplatten erzählen 90 Jahre Geschichte: Bei genauerem Hinsehen lassen sich Vogelspuren, Bombensplitter, Einflüsse der Witterung usw. erkennen. Die Spuren der Zeit sichtbar zu machen ist Katinka Bock auch in anderen Werken wichtig - ein weiteres Beispiel ist die Installation "Haltung":
Sie besteht aus einem labilen Gleichgewicht zwischen einer mit Wasser gefüllten Vase und einem Gegengewicht aus Holz, das sich bei fortschreitender Verdunstung immer mehr dem Boden nähert. Der Prozess wird bei einer Augenblicksbetrachtung nicht sichtbar, aber im Laufe der Ausstellung.
Auf andere Art spielt auch bei den Fotos des Franzosen Jean-Luc Mylayne die Zeit eine wichtige Rolle. Sein Hauptmotiv sind Vögel in der Landschaft. Mit seiner Ehefrau Mylène zusammen reist er ihnen nach, wartet auf den richtigen Augenblick, manchmal Jahre. "No96" zeigt einen Eisvogel, der aus einem Feuchtgebiet davonfliegt - die Ölspuren im Wasser verraten, wovor er flieht. Der Vogel symbolisiert die bittere Wahrheit, dass durch das Wirken des Menschen sich die Situation der Natur unaufhaltsam verschlechtert.
Ein Foto, das mich besonders fasziniert hat, spielt in einer Bildmontage mit der Spiegelung und Widerspiegelung von Kamera"auge" und Vogelauge. In dem stark vergrößerten Auge einer Kohlmeise spiegelt sich das Künstler-Ehepaar. Im Kamera-"Auge" (einer zweiten Kamera) spiegelt sich die Kohlmeise mit ihrem Auge mit dem Spiegelbild der fotografierenden Menschen.
Ich wünsche Ihnen, dass Sie die Ausstellung noch ansehen können (mit Mund-Nasen-Schutz und Abstand).
Einen guten Einblick gewährt auch dieses Video.
Text: Dr. Helge Mücke, Hannover; Bilder von oben nach unten: Installationsansicht Katinka Bock, Rauschen, Foto Raimund Zakowski; Katinka Bock, Haltung, 2019, Stahl, Eiche, Keramik, Wasser, Sammlung Lafayette Anticipations, Courtesy Sammlung Sairally; Jean-Luc Mylayne, N° 96, Août 1990 à Décembre 1991, Collection Mylène et Jean-Luc Mylayne © Jean-Luc Mylayne, Courtesy Gladstone Gallery, New York, Brüssel; Sprüth Magers, Berlin, London, Los Angeles; Jean-Luc Mylayne, N° 47, 48, 49, Octobre 1984 à Juillet 1986, Collection Mylène et Jean-Luc Mylayne © Jean-Luc Mylayne, Courtesy Gladstone Gallery, New York, Brüssel; Sprüth Magers, Berlin, London, Los Angeles.
Letzte Kommentare